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Zeitschrift für europäische Geistesgeschichte

 

 

Vorwort Band 6/2 - 2015

TIER UND MENSCH

Was bedeuten uns Tiere? Unter dieser Fragestellung veranstaltete die Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte vom 22. bis 24. November 2013 eine Tagung zu Tieren als eigenständigen Objekten literarischer und philosophischer Beschreibung. Thematisch im Mittelpunkt standen dabei historische und systematische Erkundungen von der philosophisch begründeten antiken Kritik am Tieropfer bis zur modernen theologischen Zoologie. Ein Kernbestand der Beiträge im vorliegenden Heft ist auf diese Veranstaltung zurückzuführen, zwei weitere bereichern das Themenspektrum, zum einen die Frage nach der Deutung des Verhältnis von Affe und Mensch sowie zum anderen eine interkulturell gelagerte Darlegung des Verhältnisses Tier - Mensch vor dem Hintergrund des alten China; zwei abschließende Beiträge bieten das Resultat von Bachelor-Arbeiten zum Thema Tierethik, die im Jahr 2015 an der Universität Oldenburg entstanden sind.

Die Reihe der mit historischem Schwerpunkt angelegten Beiträge eröffnet Wolfgang Christian Schneider mit einem Text zum komplexen Verhältnis von Mensch und Tier in den frühen Kulturen. Die Vieldeutigkeit der Beziehung tritt klar im Paradigma des Tieropfers hervor, in dem es über die bloße Nutzung hinaus um die Anerkennung des Tieres geht, das im Opfer der Gottheit zugeordnet wird. An den antiken Gedanken der Verschwisterung von Mensch und Tier bzw. Pflanze knüpft Kirstin Zeyer mit Cusanus insofern an, als dieser tief von einem unmittelbaren Gottesbezug aller Geschöpfe überzeugt ist. Aber auch dessen verblüffendes biologisches Wissen über Tiere und Pflanzen lässt eine Vielfalt von Gesichtspunkten erkennen, die Cusanus' Erforschung geschöpflichen Lebens leitet. Der Blick über die Alpen führt mit Elena Filippi zum Humanismus und zur Renaissance in Italien, die eine Wiederentdeckung der (edlen) Pferde-Welt beinhalten. Nicht nur Pisanello, Alberti, Donatello und Michelangelo sehen das Pferd im Hinblick auf grundlegende Verhältnisse, die den Menschen einschließen und auf ihn wirken können, sondern auch Dürer, Cranach und Grien. Auf die Übergangszeit zwischen ca. 1400 und ca. 1700, bevor die Entdeckung der Menschenaffen in Europa reflektiert wird, lenkt Hans Werner Ingensiep das Augenmerk. Die durch Literatur, Anekdoten, Berichte sowie Illustrationen führende Spurensuche zeigt auf, wie Anthropomorphologie und Primatomorphologie (Veraffung des Menschen) in ein sich wechselseitig bestätigendes Verhältnis treten, bei dem auch Mensch und Affe einander näher rücken. Systematisch höchst komplex stellt sich die Frage bei Thomas Hoffmann nach dem Bewusstsein von Tieren. Auf der Basis von Kants Theorie des Bewusstseins, vor allem der Apprehension, wird dabei plausibel, dass Tiere als transzendentale Subjekte (allerdings ohne Reflexion) aufgefasst werden können. Ebenfalls als Philosoph im 18. Jh. wirksam war der ostslavische Denker G. S. Skovoroda, dessen sophiologische Weisheiten über das Leben als Selbstsorge Witalij Morosow mittels einer Analyse der Parabel von der armen Lerche darlegt. Dass die Frage nach dem Tier zugleich die Frage nach der Auffassung des Menschen einschließt und auf diese Weise zum Thema literarisch-philosophischer Reflexion wird, verdeutlicht Detlef Thiel in einem Bogen von Derrida über Friedlaender/Mynona bis zurück zu den Mosel-Fischen des Ausonius. In China stellt sich die Frage nach den Tieren als eine Frage nach der Lebensweise des Menschen, wie David Bartosch erläutert. Was Konfuzianismus, Daoismus und den Buddhismus eint, ist die Einsicht, dass die Welt mit ihren Ressourcen allen Menschen gehört. Gehören die Tiere aber den Menschen oder können sie Rechte wie das auf Selbstbestimmtheit und Freiheit für sich beanspruchen? Vor dem Hintergrund der Herausbildung verschiedener tierethischer Positionen geht Sarina Ehlert dieser Frage nach. Dass unser Verhalten Tieren gegenüber nicht nur kontrovers, sondern widersprüchlich ist, stellt schließlich Kayla Jane Haug im Hinblick auf Tierversuche heraus, die trotz der Zunahme an Wissen über Tiere nicht ab- sondern zunehmen. Ihre Überzeugung ist, dass dieser jüngsten Entwicklung das Entkoppeln von Idealen und Verantwortungen zugrunde liegt.

Kirstin Zeyer

 

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