Aktuelles Heft

Band 13/1 – 2022

Spuren im Dazwischen

Teitelseite Cioncidentia 13-2022-2

herausgegeben von

Wolfgang Christian Schneider

und Kirstin Zeyer

 

 

Inhaltsverzeichnis

  • Vorwort
    Wolfgang Christian Schneider
  • Anaxagoras oder Das unendliche Dazwischen
    Claus-Artur Scheier
  • Aer und Pneuma im Weltganzen und im Menschen.
    Das Fortleben der griechischen Naturphilosophie bei
    Hippokratikern und stoa-nahen Medizinern
    Wolfgang Christian Schneider
  • Das mystische Nichtwissen als Schule des Denkens
    Inigo Bocken
  • Auflösung des Theodizeeproblems durch den Pantheismus?
    Kritische Betrachtung von Norbert Hoersters
    neu vorgelegter Konzeption
    Dagan Jakovljević
  • Das Absolute in der Reflexion
    Martin Bunte„Die Natur allein ist das wahre Gegengift der Abstraktion“:
    Schellings Naturphilosophie als Kritik an
    wirklichkeitsfremder ‚Schwärmerei‘
    Andrés Quero-Sánchez
  • Cornelis Verhoeven (1928-2001): ein unzeitgemäßer
    Meister aus Brabant
    Joop Berding
  • Geschriebene und gezeichnete Blicke.
    Die text-bild-künstlerischen „Bildmappen“ von
    Christoph Meckel
    Adela Sophia Sabban

Buchbesprechungen

  • Heinrich Theodor Grütter / Rosa Schmitt-Neubauer / Christoph
    Schurian / Johannes Stüttgen / Joachim Weber / Carla Zimmer-
    mann (Hg.): Die Unsichtbare Skulptur. Der Erweiterte Kunstbegriff
    nach Joseph Beuys. Katalog zur Ausstellung im UNESCO-Welterbe
    Zollverein, Essen 2021. Köln 2021
    Stephan Stockmar
  • Alf Christophersen: Die Kunst des Unsichtbaren. Ethik – Beuys –
    Ästhetik. München 2021
    Stephan Stockmar
  • Paulus Ricius: Schriften zur christlichen Kabbala. Band I. Sal foederis
    (1507 / 1511 / 1514 / 1541), Clavis Philosophiae 11,1. Kritisch hg.
    und übersetzt von Frank Böhling. Mit einer Einleitung versehen von
    Frank Böhling und Wilhelm Schmidt-Biggemann. Stuttgart-Bad
    Cannstatt 2022
    Wolfgang Christian Schneider
  • Johann Valentin Andreae: Civis Christianus, sive Peregrini quondam
    errantis restitutiones (1619). Bearbeitet, übersetzt und kommentiert
    von Frank Böhling. Mit einer Einleitung von Wilhelm Schmidt-
    Biggemann. Johann Valentin Andreae: Gesammelte Schriften. Hg.
    von Frank Böhling / Bernd Roling / Wilhelm Schmidt-Biggemann.
    Band 12. Stuttgart-Bad Cannstatt 2022
    Harald Schwaetzer
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Darlegung des wahren Ver-
    hältnisses der Naturphilosophie zur verbesserten Fichte’schen Lehre.
    Ueber das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur. Kleinere
    Schriften (1806-1807). Hg. v. Ives Radrizziani. Akademie-Ausgabe
    I.16,1. Stuttgart – Bad Canstatt 2022
    Harald Schwaetzer
  • Susanne Möbuß: Neue Überlegungen zur Existenzphilosophie.
    Anschlüsse an Barth, Jaspers und Heidegger. Basel 2021
    Johanna Hueck

Vorschau auf das kommende Heft

Zu den Autoren

Vorwort

SPUREN IM DAZWISCHEN

Umringt sind wir von Ambivalenzen, Uneindeutigkeiten, Doppelgesichtigkeiten, zugleich in vielfältiger Weise von einem „Teils – Teils“, „Sowohl als auch“, „So und doch auch Anders“; wir stehen in Spannungsräumen, in Widersprüchen, suchend nach einem hinlänglich Festhaltbaren, das uns klarer Begriff werden könnte. Dabei spüren und erfahren wir doch immer, wie viel wir auch auf der jeweils anderen Seite leben, von dort her sind. So öffnet sich uns ein Dazwischen, das wir anerkennen sollten, weil es Wichtiges wahrt, zu erkennen gibt. In diesem Band versammeln sich Beiträge, die auf die je eigene Weise vom Dazwischen sprechen. Am Anfang erläutert C.-A. Scheier das Bemühen von Anaxagoras, die unendlich-vielen Seienden in ihrer Verschiedenheit als einander durchdringend, aneinander partizipierend zu beschreiben, was ihn letztlich zur Konzeption einer aktualen Unendlichkeit führt. Vor ihr kommt dann das Einzelne in den Blick, der Mensch ebenso wie das Handgreiflich-Brauchbare, das den Menschen umgibt. W.Ch. Schneider blickt dann darauf, wie die von der frühen Naturphilosophie angenommene das Weltganze durchziehende ‚Luft‘ (aēr), später als ‚Pneuma‘ verstanden, als fortdauernd auch das Einzelne durchziehend gedacht wird. Das gibt
der Medizin Anlass, die Wege von Luft und Pneuma im Inneren des Menschen zu verfolgen, der wesentlich dadurch am Weltganzen teilhat, womit, in stoischer Sicht, das Ganze im Einzelnen wirklich wird. Das Dazwischen im Spekulativ-Theologischen verfolgt I. Bocken, er sieht das mystische Nichtwissen als Schule des Denkens, wofür beispielhaft Cusanus und de Certeau aufgerufen werden. Im eigenen Nichtwissen und in der Unerreichbarkeit des Gegenübers tritt überbrückend die Wechselseitigkeit hervor. Das unerfüllte Verlangen nach dem Ungreifbar-Göttlichen stellt sich für den Betrachtenden als Wechselseitigkeit dar, in dem der ‚Sehnsüchtige‘ eine Art von Wissen erfährt, wofür er den Raum offen halten möchte. Einem geradezu klassischen Problem des Dazwischen widmet sich D. Jakovljević, der eine unlängst vorgetragene pantheistisch-atheistische Lösung der Theodizee-Frage als fragwürdig nachweist. Bei diesem Vorschlag bleibt das Problem bestehen, es wird lediglich verschoben. Gleichsam komplementär dazu erörtert M. Bunte den Spannungsraum zwischen dem Absoluten als dem unendlichen Grund und dem Menschen als endliches Vernunftwesen mit seiner Reflexion. Das einzelne Bewusstsein, das eigene Ich, wird in dieser Sicht als Erscheinung des Absoluten, also des rein aus sich Seienden vorgestellt. Die Wahrheit des Absoluten ist dabei die der Differenz und Identität seines In-sich-Seins und seiner Erscheinung als sein Aus-sich-Sein. Im Anschluss daran behandelt A. Quero-Sánchez das bei Schelling bestehende Spannungsverhältnis zwischen mystisch-spekulativen Traditionen und einer Naturphilosophie, die von beseelter Materie bestimmt ist, von woher auch Individualität und Existenz zu denken ist. Der reife und authentische Einzelne ist demgemäß (im Gegensatz zu dem wiederholt angesprochenen „Schwärmer“) dadurch gekennzeichnet, dass er nach dem Gesetz seiner Identität, kraft der Notwendigkeit seines Wesens handelt. Die Linie der Individualität zieht J. Berding bei seiner Vorstellung der auf die Praxis zielenden Philosophie Verhoevens aus, wenn er die „Selbstgestaltung“ des Einzelnen als deren Mittelpunkt beschreibt. Damit wendet er sich gegen die eingerasteten Selbstverständlichkeiten im Geistigen und Religiösen sowie die Nutzungsansprüche der Gesellschaft an die Heranwachsenden. Zuletzt verfolgt A. S. Sabban das Dazwischen als Ineinander von Sprechen im Text und Formen im Bildlichen in den bildtextlichen Gestaltungen des Dichters und Zeichners Christoph Meckel. In ihnen erspielt sich der kreativ Schaffende seine Wirklichkeit, sein Leben, vor und mit dem ihn Umgebenden – und vergegenwärtigt sich so dem Wahrnehmenden. Gerade das Dazwischen, offen und bewußt angenommen, ist fruchtbar, es erweist zunächst geschieden erscheinende Sinn- oder Erlebenszusammenhänge als gleicherweise tragend und so weiterführend, gibt zuletzt auch im Einzelnen Unerwartetes, Neues zu erkennen.

Wolfgang Christian Schneider