Aktuelles Heft

Band 15/1 – 2024

PhTitelseite der Coincidentia: Philosophie und Psychologie. 15. Jahrgang 2024, 1. Heftilosophie und Psychologie

 

herausgegen von

Harald Schwaetzer

und Kirstin Zeyer

 

Inhaltsverzeichnis

  • Philosophie und Psychologie
    Harald Schwaetzer und Kirstin Zeyer
  • Die Psychologie und ihre Gretchenfrage
    Ulrich Weger
  • Die Idee einer einheitlichen Persönlichkeit und der Zweckbegriff.
    Anna Tumarkins Begründung der Psychologie
    im Kontext ihrer Zeit
    Harald Schwaetzer
  • Innere Erfahrung – eine wissenschaftshistorische Spurensuche
    Harald Walach
  • Das vergangene Jetzt der Sorge
    Lisa-Alexandra Henke und Herbert Kalthoff
  • Reformerische Perspektiven der kritisch-rationalistischen
    Religionsinterpretation: Stellungnahmen der Klassiker, ihre
    Schranken und möglichen interpretativen Erweiterungen
    Dragan Jakovljević

Buchbesprechungen

  • Peroli, Enrico: Grundriss. Nikolaus von Kues. Ein Handbuch zu
    Leben und Werk. Aus dem Italienischen übersetzt von
    P. S. Castiglioni und A. Hilt. Hamburg 2023
    Harald Schwaetzer
  • Johann Georg Sulzer: Gesammelte Schriften. Band 2: Schriften zu
    Psychologie und Ästhetik. Hg. v. Elisabeth Décultot / Alessandro
    Nannini. Basel 2024
    Harald Schwaetzer
  • Jacob Böhme: Von Der wahren gelassenheit (1622). Hg. v. Giulia
    Baldelli / Günther Bonheim. Historisch-kritische Gesamtausgabe.
    I/17. Stuttgart – Bad Canstatt 2024
    Harald Schwaetzer
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Ueber das Verhältnis der
    bildenden Künste zu der Natur. Kleinere Schriften (1807-1814).
    Hg. v. Vicky Müller-Lüneschloss. Akademie-Ausgabe I.16,2
    Stuttgart – Bad Canstatt 2024
    Harald Schwaetzer
  • Die Psalmen in ihrer Urgestalt. Rekonstruiert und erklärt von
    Christoph Lewin und Reinhard Müller. München 2024
    Wolfgang Christian Schneider

Vorschau auf das kommende Heft

Die Autoren

Vorwort

PHILOSOPHIE UND PSYCHOLOGIE

Als „ἰδοῦσα τὴν ἀλήθειαν“, „die Wahrheit schauend“ beschreibt Platon die Seele im Phaidros (249b). Und er setzt wenig später hinzu (249e): „πᾶσα μὲν ἀνθρώπου ψυχὴ φύσει τεθέαται τὰ ὄντα“, „eine jede Seele des Menschen hat dem Wesen nach geschaut das Seiende“. Für Heinrich Barth ist diese Bestimmung der Seele grundlegend nicht nur für seine Platon-Deutung, sondern auch für seine spätere Existenzphilosophie, und zwar gerade aufgrund ihrer Geistbezogenheit.[1]

Barth verdankt diesen Blick auf Platon nicht zuletzt seiner ‚Doktormutter‘ Anna Tumarkin, die ebenfalls zu Platon und seiner Seelenlehre publiziert hat.[2] Wie Barth – sowohl im Platon-Buch, aber auch in den späteren systematischen Fragen einer transzendentalen Transzendenz – zielt auch Tumarkin auf eine Erörterung der unsterblichen Seele; denn sie ist es, welche Wahrheit und Sein schaut bzw. geschaut hat.

Das „Philosophische Seminar“ (Freiberg a. N.) widmet sich in seiner Forschung nicht nur Heinrich Barth, sondern auch in einer Kooperation mit Ulrich Weger von der Universität Witten-Herdecke Anna Tumarkin. Die Schweizer Philosophin Anna Tumarkin hatte ab 1909 in Bern als erste Frau in Europa eine ordentliche Professur inne. Neben ihren Forschungsschwerpunkten in der Ästhetik und der Hermeneutik entwickelte sie in zwei einschlägigen Werken eine philosophische Psychologie, die eine grundlegende und kritische Methodenreflexion vornimmt und einen eigenständigen Ansatz verstehender Psychologie liefert. Diesem Ansatz hat sich am 5. und 6. Februar ein Forschungskolloquium gewidmet. Nicht zuletzt aus ihm stammt die Anregung zum vorliegenden Heft.

Den Auftakt bildet ein Beitrag von Ulrich Weger, welcher die „Gretchenfrage“ nach Seele und Geist in der aktuellen Psychologie bedenkt. Was für Platon und Aristoteles grundlegende Bestimmungen der Seele waren, ist heute zu einer methodisch wie inhaltlich problematischen und wenig bedachten Frage geworden.

Das liegt nicht zuletzt an dem Methodenstreit in der Psychologie um 1900. Harald Schwaetzer zeigt in seinem Beitrag, wie Anna Tumarkin in diesem Streit eine originelle Position vorgelegt hat, die nicht nur den antiken Vorstellungen Platons wie Aristoteles’ Anerkennung zu zollen, sondern auch mit Blick auf die „Gretchenfrage“ für die Gegenwart Tore zu öffnen vermag.

Wie eine solche Psychologie als Philosophie in der Geschichte des Abendlandes verankert ist, zeigt die historische Rückbesinnung von Harald Walach. Seine Analyse zentraler Positionen des Mittelalters führt er systematisch weiter in die Zeit Brentanos. Damit ist mehr geleistet als ein bloßer Rekurs auf Brentano ‚und‘ Aristoteles oder Thomas – vielmehr ist konkret und mit Blick auf andere Positionen die historische Kontinuität einer philosophischen Psychologie, welche den Geist mitbedenkt, aufgewiesen, in der auch Tumarkins Ansatz am Ende sich verorten lässt.

Einen Ausblick auf gegenwärtige Fragen geben Lisa-Alexandra Henke und Herbert Kalthoff. Dabei nehmen sie nicht nur die moderne Verfassung des Menschen in den Blick, sondern erweitern die Perspektive des Heftes auf Fragen einer Pathologie, die jenseits des medizinisch-pathologischen Feldes fraglos auch eine gesellschaftliche Bedeutung haben.

Ferner aufgenommen in das Heft wurde ein Beitrag von Dragan Jakovljević zum Kritischen Rationalismus, der abseits des Themenschwerpunkts zu Philosophie und Psychologie die unterschiedlichen Positionen von Hans Albert und Karl Popper zur Religion ergründet.

Harald Schwaetzer und Kirstin Zeyer

Fußnoten:
[1] Barth, Heinrich: Die Seele in der Philosophie Platons. Neu hg. v. H. Schwaetzer
u. K. Zeyer. Regensburg 2017.
[2] Tumarkin, Anna: Der Unsterblichkeitsgedanke in Platos Phädon. In: Rheini-
sches Museum für Philologie; N.F., LXXV (1926) 58-83.