Aktuelles Heft

Band 14/1 – 2023

Kosmopolitismus

herausgegen von

Wolfgang Christian Schneider

und Kirstin Zeyer

 

Inhaltsverzeichnis

  • Vorwort
    Wolfgang Christian Schneider
  • Der Gedanke der Kosmopolitie in der Antike
    und sein Fortwirken bei Wieland
    Wolfgang Christian Schneider
  • Kosmopolitismus: Herder im kritischen Diskurs
    mit Rousseau und Wieland
    Tilman Borsche
  • Denken für das Fremde. Der Kosmopolitismus
    von Wieland und Kant
    Ri SUGA
  • Goethes Kosmopolitismus
    Harald Schwaetzer
  • Der „poëtische Staat“ und die „Weltrepublik“. Zur Konzeption
    des frühromantischen Kosmopolitismus
    Yu TAKAHASHI
  • Die Idee der „Einheit in der Mannigfaltigkeit“ im Zeitalter
    der „Weltliteratur“. Zu einer Denkfigur des literarischen
    Kosmopolitismus im 19. Jahrhundert
    Takahiro NISHIO
  • Hannah Arendt und der Kosmopolitismus:
    Grenzen und Möglichkeiten
    Yotetsu TONAKI

Buchbesprechungen

  • Alanus ab Insulis und das europäische Mittelalter. Hg. v. Frank
    Bezner / Beate Kellner. Unter Mitarbeit von M. Butz /
    A. Urban. Paderborn 2022
    Harald Schwaetzer
  • Hueck, Johanna: Aktive Passivität. Krisis und Selbsttransformation
    der Subjektivität im Denken F.W.J. Schellings. Beiträge
    zur Schelling-Forschung (Band 13). Freiburg 2022
    Nadja Görz
  • Charles de Bovelles, philosophe et pédagogue. Suivi de l‘ Opuscule
    métaphysique de Charles de Bovelles (1504). Sous la direction
    de Anne-Hélène Klinger-Dollé et Emmanuel Faye. Paris 2021
    Harald Schwaetzer

Vorschau auf das kommende Heft

Die Autoren

Vorwort

KOSMOPOLITISMUS

Immer mehr Erscheinungen lassen die weltweiten Verflechtungen und Wechselwirkungen gesellschaftlicher und politischer Geschehnisse, wirtschaftlicher und natürlicher Prozesse spürbar werden. Das macht eine Neubewertung des Bezugsrahmens, in dem das menschliche Handeln sich versteht, notwendig. Damit rückt die Frage in den Blick, inwiefern der Einzelne über seine lokalen, regionalen oder nationalen Bezüge hinaus auch durch einen globalen Bezug, eine weltumspannende Verantwortung bestimmt ist und sein sollte. In einer solchen Neubesinnung kommt dem Begriff des Kosmopolitischen eine tragende Rolle zu, dem dieser Band der Coincidentia gewidmet ist. Die Beiträge gehen auf zwei örtlich weit auseinanderliegende, inhaltlich gleichwohl verschwisterte Veranstaltungen in Deutschland und Japan im Jahre 2021 zurück: einerseits auf eine Vorlesungsreihe zum „Kosmopolitismus“ an der Hochschule in Biberach, der Geburtsstadt des Philosophen und Dichters Christoph Martin Wieland, der als Vorkämpfer des Gedankens der Kosmopolitie in der Aufklärungszeit gelten kann; andererseits auf das Symposium „Kosmopolitische Narrative“ der Japanischen Gesellschaft für Germanistik. Freundschaftliche wissenschaftliche Beziehungen ermöglichte nun ein Zusammenwirken, eine gemeinschaftliche Veröffentlichung der wichtigsten Beiträge beider Veranstaltungen zum Kosmopolitismus. Eröffnet wird die Folge mit einem Blick auf die Antike, in der der Begriff der Kosmopolitie wurzelt. Es ist die philosophische Reflexion über die Vergesellschaftung in den Stadtgemeinden des frühklassischen Griechenland, die dem ausschließlichen Bezug auf die je eigene Stadtgemeinde einen der Gesamtheit des Lebens verpflichteten Bezug entgegenstellt: einen Bezug zum Kosmos. Dieses Denken bleibt, wie W. Ch. Schneider darlegt, wirksam und wird selbst im politischen Handeln aufgegriffen. Aus diesen literarisch ermittelten Impulsen entwickelt Wieland in der Zeit der Aufklärung seine Auffassung eines ethisch begründeten Kosmopolitismus, den er in literarischen Werken und in politisch-gesellschaftlichen Schriften vorstellt. Weitere, in die menschliche Bildung und insbesondere die nun thematisierte staatspolitische Bildung hineinreichende Anstöße tragen Rousseau und Herder bei, wie T. Borsche herausarbeitet, wobei das Kosmopolitische in eine Spannung zum Patriotischen gerät. Dem folgt R. Suga, die den unzweifelhaft ebenso philosophischen wie politischen Gehalt von Wielands Dichtung in seinem inneren Zusammenhang mit dem kosmopolitischen Denken Kants erläutert und von da aus die weiteren Entwicklungen skizziert. Des politischen Gehalts bewusst lenkt H. Schwaetzer den Blick auf das letztlich tragende Ganze, den das Verstehen herausfordernden Kosmos, in dem jedes Handeln steht, es trägt und verpflichtet. Eine vertiefte Erfassung des Politischen im Kosmopolitischen weist Y. Takahashi an Hand der Auseinandersetzungen der Frühromantiker mit Kant auf. Das Poetisch-Ästhetische gilt den Romantikern als unmittelbar politisch und verbindet sich daher mit dem Staatsbürgerlichen. Vielleicht ist sogar die Wende zum religiösen bei mehreren der Frühromantiker nicht so sehr als das Ende des Kosmopolitischen zu verstehen, sondern als dessen Verschiebung in das Geistige. Mit T. Nishio richtet sich der Blick in das 19. Jh., vor allem auf das ‚Junge Deutschland‘ und Berthold Auerbach, er behandelt die Frage einer ‚kosmopolitisch‘ aufgefassten ‚Weltliteratur‘ beispielhaft im Hinblick darauf, welcher Stellenwert dem je besonderen Literarischen im Rahmen von „Einheit in der Vielheit“ zukommen kann – eine Frage, die noch immer von Bedeutung ist. Daran knüpft Y. Tonaki an, der für die Judenheit in Europa zu Ende des 19. Jh. und im frühen 20.Jh., jüdischen Selbstaussagen folgend, eine kosmopolitische Phase beschreibt, in der die geistig und literarisch Tätigen sich fruchtbar zwischen den nationalen Kulturen und Literaturen, also gleichsam kosmopolitisch, bewegen konnten, gerade weil sie keinen nationalen Bezug hatten. Das beendeten die antisemitischen Aktionen, was Hannah Arendt dazu führt, beständig das Zeitgeschichtliche begleitend, für die Judenheit einen Ort zu suchen, eine jüdische Identität zu entwickeln, die jenseits des Religiös-Nationalen stünde und Kosmopolitisches wahrte. Von seiner Geschichte her muss Kosmopolitismus – und jede Berufung darauf – immer ethisch gegründet sein.

Wolfgang Christian Schneider