Band 15/1 – 2024
Ph
ilosophie und Psychologie
herausgegen von
Harald Schwaetzer
und Kirstin Zeyer
Inhaltsverzeichnis Buchbesprechungen Vorschau auf das kommende Heft Die Autoren Vorwort PHILOSOPHIE UND PSYCHOLOGIE Als „ἰδοῦσα τὴν ἀλήθειαν“, „die Wahrheit schauend“ beschreibt Platon die Seele im Phaidros (249b). Und er setzt wenig später hinzu (249e): „πᾶσα μὲν ἀνθρώπου ψυχὴ φύσει τεθέαται τὰ ὄντα“, „eine jede Seele des Menschen hat dem Wesen nach geschaut das Seiende“. Für Heinrich Barth ist diese Bestimmung der Seele grundlegend nicht nur für seine Platon-Deutung, sondern auch für seine spätere Existenzphilosophie, und zwar gerade aufgrund ihrer Geistbezogenheit.[1]
Barth verdankt diesen Blick auf Platon nicht zuletzt seiner ‚Doktormutter‘ Anna Tumarkin, die ebenfalls zu Platon und seiner Seelenlehre publiziert hat.[2] Wie Barth – sowohl im Platon-Buch, aber auch in den späteren systematischen Fragen einer transzendentalen Transzendenz – zielt auch Tumarkin auf eine Erörterung der unsterblichen Seele; denn sie ist es, welche Wahrheit und Sein schaut bzw. geschaut hat. Das „Philosophische Seminar“ (Freiberg a. N.) widmet sich in seiner Forschung nicht nur Heinrich Barth, sondern auch in einer Kooperation mit Ulrich Weger von der Universität Witten-Herdecke Anna Tumarkin. Die Schweizer Philosophin Anna Tumarkin hatte ab 1909 in Bern als erste Frau in Europa eine ordentliche Professur inne. Neben ihren Forschungsschwerpunkten in der Ästhetik und der Hermeneutik entwickelte sie in zwei einschlägigen Werken eine philosophische Psychologie, die eine grundlegende und kritische Methodenreflexion vornimmt und einen eigenständigen Ansatz verstehender Psychologie liefert. Diesem Ansatz hat sich am 5. und 6. Februar ein Forschungskolloquium gewidmet. Nicht zuletzt aus ihm stammt die Anregung zum vorliegenden Heft. Den Auftakt bildet ein Beitrag von Ulrich Weger, welcher die „Gretchenfrage“ nach Seele und Geist in der aktuellen Psychologie bedenkt. Was für Platon und Aristoteles grundlegende Bestimmungen der Seele waren, ist heute zu einer methodisch wie inhaltlich problematischen und wenig bedachten Frage geworden. Das liegt nicht zuletzt an dem Methodenstreit in der Psychologie um 1900. Harald Schwaetzer zeigt in seinem Beitrag, wie Anna Tumarkin in diesem Streit eine originelle Position vorgelegt hat, die nicht nur den antiken Vorstellungen Platons wie Aristoteles’ Anerkennung zu zollen, sondern auch mit Blick auf die „Gretchenfrage“ für die Gegenwart Tore zu öffnen vermag. Wie eine solche Psychologie als Philosophie in der Geschichte des Abendlandes verankert ist, zeigt die historische Rückbesinnung von Harald Walach. Seine Analyse zentraler Positionen des Mittelalters führt er systematisch weiter in die Zeit Brentanos. Damit ist mehr geleistet als ein bloßer Rekurs auf Brentano ‚und‘ Aristoteles oder Thomas – vielmehr ist konkret und mit Blick auf andere Positionen die historische Kontinuität einer philosophischen Psychologie, welche den Geist mitbedenkt, aufgewiesen, in der auch Tumarkins Ansatz am Ende sich verorten lässt. Einen Ausblick auf gegenwärtige Fragen geben Lisa-Alexandra Henke und Herbert Kalthoff. Dabei nehmen sie nicht nur die moderne Verfassung des Menschen in den Blick, sondern erweitern die Perspektive des Heftes auf Fragen einer Pathologie, die jenseits des medizinisch-pathologischen Feldes fraglos auch eine gesellschaftliche Bedeutung haben. Ferner aufgenommen in das Heft wurde ein Beitrag von Dragan Jakovljević zum Kritischen Rationalismus, der abseits des Themenschwerpunkts zu Philosophie und Psychologie die unterschiedlichen Positionen von Hans Albert und Karl Popper zur Religion ergründet. Harald Schwaetzer und Kirstin Zeyer Fußnoten: herausgegen von Harald Schwaetzer, Kirstin Zeyer und Johanna Hueck Inhaltsverzeichnis Buchbesprechungen Vorschau auf das kommende Heft Die Autoren Vorwort INTERESSE AM REIN MENSCHLICHEN „Wie durch Monate und Jahre im Siebenerzyklus innerhalb und außerhalb des Mutterleibes alles im Menschen sich vollzieht“ (Cusanus in Sermo 170 n.2), so geht es auch der „Coincidentia“ auf ihre Weise: Zwei Jahrsiebte lang hat Wolfgang Christian Schneider die Zeitschrift gestaltet: mit Phantasie, mit Feinsinnigkeit, mit gedanklicher Genauigkeit und mit Schönheit. Mit dem vorliegenden zweiten Heft des 14. Jahrgangs vollzieht sich ein Wechsel, für dessen Kontinuität Kirstin Zeyer sorgt, während Johanna Hueck und Harald Schwaetzer Wolfgang Christian Schneider in der geschäftsführenden Herausgeberschaft nachfolgen, so dass die „Coincidentia“ nun zu dritt verantwortet wird. Ein anderes Zahlenspiel liegt ebenso nahe: 27 Hefte, also 3³, eine seit der Antike gewichtige Zahl, deren Bedeutung das Christentum fortgeschrieben hat, sind von Wolfgang Christian Schneider gestaltet worden. Heft um Heft sind liebevoll und im sorgsamen Gespräch mit den Autoren entwickelt. Jenseits des Gedruckten zeigt sich darin eine sorgfältig gepflegte Kultur des akademischen Gesprächs, die ein hohes Gut der Vollendung darstellt. Deswegen beginnt die neue und vollendet sich die alte Ära mit einem Heft „Interesse am rein Menschlichen“, um auf diese Charakteristik in der Gestaltung der Zeitschrift hinzuweisen. Das Titelwort verdankt sich einer Formulierung Schillers aus den „Horen“, der im Beitrag von Harald Schwaetzer nachgegangen wird. Die besondere Konstellation derjenigen, die Schiller für eine Zusammenarbeit in den Horen zu gewinnen vermochte, ist ein eindrückliches Zeugnis für eine Mitschreibende und Gegenwart im Auge behaltenden soziale Wirksamkeit einer akademischen Zeitschrift über ein ‚Druckerzeugnis‘ hinaus. Die Beiträge des vorliegenden Heftes entfalten in historischer Perspektive die systematischen Implikationen dieses ‚Interesses am rein Menschlichen‘. Salvatore Lavecchia wendet sich eingangs Platons Nomoi X zu. Dabei geht es ihm darum, die Konsequenzen der Einheit von Erkenntnis und Ethik bei Plato auszuloten. Wirkliches Erkennen und Denken ist zugleich eine Angelegenheit der Ethik, so Lavecchia; das „bedeutet schon an sich für das menschliche Selbst eine ethisch stimmige, und mithin fruchtbar transformative Performativität, die den Menschen nicht nur zu einer konkreten Erfahrung des Göttlichen, sondern auch, gerade durch diese Erfahrung, zu einer Verwirklichung sei es seines wahren Selbst sei es harmonischer sowie produktiver Verhältnisse in der Welt führt“. Diese Gedankenwelt ist nicht nur in die ganze Antike eingebettet, sondern sie führt auch weiter bis ins Mittelalter, wie Johann Kreuzer zeigt. Dazu widmet er sich einem Überblick über die Frage des Schönen. Die Feststellung Adornos, dass ‚kein Licht ist auf den Menschen und Dingen, in dem nicht Transzendenz wiederschiene‘, ist dabei für seine Überlegungen zentral – „und zwar nicht aus einem antiquarischen, vielmehr aus einem aufklärerischen, d.h. erfahrungsdiagnostischen Interesse heraus“, formuliert als ein „Maßstab und Anspruch, an den es gerade heute“ zu erinnern gilt. Auf dieser Grundlage widmen sich die drei mittleren Beiträge dem Denken des Nikolaus von Kues. Wolfgang Christian Schneider hebt einerseits die Verwobenheit mit dem platonisch-neuplatonischen Gedankengut hervor, der Cusanus’ Denken auszeichnet. Anderseits zeigt er, wie Nikolaus diese Ideen produktiv in die Neuzeit hinein entfaltet, als einen „adventus formae“: „Als umfassendes principium ist Gott nicht weiter bestimmbar als reine essentia, in einer Verflechtung von Gutheit, Wahrheit und Schönheit. Als solche entziehen diese sich freilich jeder Wahrnehmung […]; sie werden jedoch erfassbar als Widerschein in der Form, in der forma, die durch ein spezifizierendes Ausfließen aus dem Principium in die Erscheinung tritt, aus der allgemeinen Potentialität verbesondert wird durch einen konstituierenden Hauch, spiritus.“ Tilman Borsche führt in seiner Meditation über De visione Dei diese Linie mit speziellerem Blick auf den Menschen fort. „Unter geeigneten Bedingungen betrachtet und gelesen, erweist sich das Bild als ein sichtbares Zeichen des Unsichtbaren, so der Anspruch des Senders. Aber das leistet das Bild nicht allein, so wenig wie das Wort allein es leisten könnte. Es ist das eigentümliche Zusammenspiel von diesem (genauer: einem derartigen) Bild zu dieser Zeit, an diesem Ort mit dem Text dieses Autors, geschrieben für diese Leser – und trotzdem und gerade in dieser Spezifität verbunden mit einem Anspruch auf Allgemeingültigkeit“ – wiederum ein Anspruch, der bis ins „hier und heute“ reicht. Als Gegenstück zum Verhältnis des Menschen zu Gott widmet sich Kirstin Zeyer demjenigen des Menschen zum Tier bei Cusanus. Ebenfalls im Rückbezug auf De visione Dei hält sie fest: „Ein verantwortlicher Umgang mit der Natur, verteilt auf viele Schultern, wäre hier in der Konsequenz gefordert. Gleichzeitig liegt in der bewegten Szene vor der Ikone aber noch ein anderes Moment beschlossen, das in Form der Vertrauensbildung der kommunikativen Situation vorausliegt. Wie wird Vertrauen gebildet? Spielend und kreisend.“ Der letzte Schritt des Heftes führt mit zwei Beiträgen in die Welt um und nach 1800. Harald Schwaetzer beleuchtet Schillers Unterfangen der Gründung der „Horen“ und analysiert dessen Gespräch mit Fichte und Goethe. Ihm geht es um die Deutung einer Aussage aus dem Vorwort der „Horen“: „Aber jemehr das beschränkte Interesse der Gegenwart die Gemüther in Spannung setzt, einengt und unterjocht, desto dringender wird das Bedürfniß, durch ein allgemeines und höheres Interesse an dem, was rein menschlich und über allen Einfluß der Zeiten erhaben ist, sie wieder in Freyheit zu setzen, und die politisch getheilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen.“ Eine konsequente Weiterführung dieser Ideen und zugleich auch ein Rückgriff auf antike Ideen ist, was Samuel Hahnemanns Denken und Wirken auszeichnet. Diese Art des Interesses am rein Menschlichen untersucht Pilar Bücker. Sie zeigt, „dass Hahnemann den Menschen als einen lebendigen Organismus versteht und dass dieses Verständnis aus der Empirie heraus geboren ist.“ Damit redet der Begründer der modernen Homöopathie weder einer einseitigen, abstrakten Spekulation das Wort noch einer Empirie, wie sie das 19. Jahrhundert im weiteren Verlauf ausbilden wird. Auch für Hahnemann gilt, dass in der Platonischen Einheit von Erkenntnis und Ethik ein „adventus formae“ sich ereignet, der das Interesse am rein Menschlichen im Sinne Schillers zur Erscheinung zu bringen vermag. Johanna Hueck, Harald Schwaetzer, Kirstin Zeyer herausgegen von Wolfgang Christian Schneider und Kirstin Zeyer Inhaltsverzeichnis Buchbesprechungen Vorschau auf das kommende Heft Die Autoren Vorwort KOSMOPOLITISMUS Immer mehr Erscheinungen lassen die weltweiten Verflechtungen und Wechselwirkungen gesellschaftlicher und politischer Geschehnisse, wirtschaftlicher und natürlicher Prozesse spürbar werden. Das macht eine Neubewertung des Bezugsrahmens, in dem das menschliche Handeln sich versteht, notwendig. Damit rückt die Frage in den Blick, inwiefern der Einzelne über seine lokalen, regionalen oder nationalen Bezüge hinaus auch durch einen globalen Bezug, eine weltumspannende Verantwortung bestimmt ist und sein sollte. In einer solchen Neubesinnung kommt dem Begriff des Kosmopolitischen eine tragende Rolle zu, dem dieser Band der Coincidentia gewidmet ist. Die Beiträge gehen auf zwei örtlich weit auseinanderliegende, inhaltlich gleichwohl verschwisterte Veranstaltungen in Deutschland und Japan im Jahre 2021 zurück: einerseits auf eine Vorlesungsreihe zum „Kosmopolitismus“ an der Hochschule in Biberach, der Geburtsstadt des Philosophen und Dichters Christoph Martin Wieland, der als Vorkämpfer des Gedankens der Kosmopolitie in der Aufklärungszeit gelten kann; andererseits auf das Symposium „Kosmopolitische Narrative“ der Japanischen Gesellschaft für Germanistik. Freundschaftliche wissenschaftliche Beziehungen ermöglichte nun ein Zusammenwirken, eine gemeinschaftliche Veröffentlichung der wichtigsten Beiträge beider Veranstaltungen zum Kosmopolitismus. Eröffnet wird die Folge mit einem Blick auf die Antike, in der der Begriff der Kosmopolitie wurzelt. Es ist die philosophische Reflexion über die Vergesellschaftung in den Stadtgemeinden des frühklassischen Griechenland, die dem ausschließlichen Bezug auf die je eigene Stadtgemeinde einen der Gesamtheit des Lebens verpflichteten Bezug entgegenstellt: einen Bezug zum Kosmos. Dieses Denken bleibt, wie W. Ch. Schneider darlegt, wirksam und wird selbst im politischen Handeln aufgegriffen. Aus diesen literarisch ermittelten Impulsen entwickelt Wieland in der Zeit der Aufklärung seine Auffassung eines ethisch begründeten Kosmopolitismus, den er in literarischen Werken und in politisch-gesellschaftlichen Schriften vorstellt. Weitere, in die menschliche Bildung und insbesondere die nun thematisierte staatspolitische Bildung hineinreichende Anstöße tragen Rousseau und Herder bei, wie T. Borsche herausarbeitet, wobei das Kosmopolitische in eine Spannung zum Patriotischen gerät. Dem folgt R. Suga, die den unzweifelhaft ebenso philosophischen wie politischen Gehalt von Wielands Dichtung in seinem inneren Zusammenhang mit dem kosmopolitischen Denken Kants erläutert und von da aus die weiteren Entwicklungen skizziert. Des politischen Gehalts bewusst lenkt H. Schwaetzer den Blick auf das letztlich tragende Ganze, den das Verstehen herausfordernden Kosmos, in dem jedes Handeln steht, es trägt und verpflichtet. Eine vertiefte Erfassung des Politischen im Kosmopolitischen weist Y. Takahashi an Hand der Auseinandersetzungen der Frühromantiker mit Kant auf. Das Poetisch-Ästhetische gilt den Romantikern als unmittelbar politisch und verbindet sich daher mit dem Staatsbürgerlichen. Vielleicht ist sogar die Wende zum religiösen bei mehreren der Frühromantiker nicht so sehr als das Ende des Kosmopolitischen zu verstehen, sondern als dessen Verschiebung in das Geistige. Mit T. Nishio richtet sich der Blick in das 19. Jh., vor allem auf das ‚Junge Deutschland‘ und Berthold Auerbach, er behandelt die Frage einer ‚kosmopolitisch‘ aufgefassten ‚Weltliteratur‘ beispielhaft im Hinblick darauf, welcher Stellenwert dem je besonderen Literarischen im Rahmen von „Einheit in der Vielheit“ zukommen kann – eine Frage, die noch immer von Bedeutung ist. Daran knüpft Y. Tonaki an, der für die Judenheit in Europa zu Ende des 19. Jh. und im frühen 20.Jh., jüdischen Selbstaussagen folgend, eine kosmopolitische Phase beschreibt, in der die geistig und literarisch Tätigen sich fruchtbar zwischen den nationalen Kulturen und Literaturen, also gleichsam kosmopolitisch, bewegen konnten, gerade weil sie keinen nationalen Bezug hatten. Das beendeten die antisemitischen Aktionen, was Hannah Arendt dazu führt, beständig das Zeitgeschichtliche begleitend, für die Judenheit einen Ort zu suchen, eine jüdische Identität zu entwickeln, die jenseits des Religiös-Nationalen stünde und Kosmopolitisches wahrte. Von seiner Geschichte her muss Kosmopolitismus – und jede Berufung darauf – immer ethisch gegründet sein. Wolfgang Christian Schneider herausgegeben von Wolfgang Christian Schneider und Kirstin Zeyer Inhaltsverzeichnis Buchbesprechungen Vorschau auf das kommende Heft Zu den Autoren Vorwort SPUREN IM DAZWISCHEN Umringt sind wir von Ambivalenzen, Uneindeutigkeiten, Doppelgesichtigkeiten, zugleich in vielfältiger Weise von einem „Teils – Teils“, „Sowohl als auch“, „So und doch auch Anders“; wir stehen in Spannungsräumen, in Widersprüchen, suchend nach einem hinlänglich Festhaltbaren, das uns klarer Begriff werden könnte. Dabei spüren und erfahren wir doch immer, wie viel wir auch auf der jeweils anderen Seite leben, von dort her sind. So öffnet sich uns ein Dazwischen, das wir anerkennen sollten, weil es Wichtiges wahrt, zu erkennen gibt. In diesem Band versammeln sich Beiträge, die auf die je eigene Weise vom Dazwischen sprechen. Am Anfang erläutert C.-A. Scheier das Bemühen von Anaxagoras, die unendlich-vielen Seienden in ihrer Verschiedenheit als einander durchdringend, aneinander partizipierend zu beschreiben, was ihn letztlich zur Konzeption einer aktualen Unendlichkeit führt. Vor ihr kommt dann das Einzelne in den Blick, der Mensch ebenso wie das Handgreiflich-Brauchbare, das den Menschen umgibt. W.Ch. Schneider blickt dann darauf, wie die von der frühen Naturphilosophie angenommene das Weltganze durchziehende ‚Luft‘ (aēr), später als ‚Pneuma‘ verstanden, als fortdauernd auch das Einzelne durchziehend gedacht wird. Das gibt Wolfgang Christian Schneider herausgegeben von Inhaltsverzeichnis Buchbesprechungen Vorschau auf das kommende Heft Zu den Autoren Vorwort BLICKE INS KOMMENDE Umstellt sind wir von Zukünften, trägt doch jede Gegenwart in sich die Wurzeln alles Kommenden, das im Jetzt schon steckt. Selbst in den konkreten kleinen Vollzügen im Alltäglichen geschieht immer auch Zukunft: In Bejahung und Widerspruch, in Fortentwicklung und Verkürzung, Abweichung und Verschiebungen entwickelt und gestaltet der Mensch sein je besonderes Dafürhalten hinsichtlich eines Fortkommens – antwortend auf Wollen und Vorhaben im ihn Umgebenden. Jedes Mit- und Zueinander verweist den Einzelnen darauf, ein Meinen und Begehren Anderer wahrzunehmen und dies beim eigenen Tun zu berücksichtigen. Auch für die einfache Kommunikation gilt das, um so mehr für jedes Entwerfen, das ein „soll sein“ enthält. So unbedingt der Einzelne auch im Gegenwärtigen steht, das Kommende umschlingt ihn, nicht weniger als das Vergangene und Bedingende. Um sich zu entfalten, ja überhaupt zu leben, müssen Menschen das Kommende betrachten. Zu Beginn des Bandes bestimmt ein Beitrag von Nico Graack die gegebene Grundlage solchen Betrachtens mit Überlegungen zum Verhältnis von praktischer und spekulativer Vernunft im Hinblick auf eine mögliche Einheit – ein Projekt, das schon Kant selbst als Aufgabe formuliert hatte. Vor diesem Hintergrund verstehen sich die beiden folgenden Beiträge; zunächst der Bericht von Stefan Waanders über sein Erleben in Prag, das ihm unwillkürlich im Zeitgenössischen das Vergangene aufbrechen ließ und ihm Selbstprüfung bedeutete, ihn zu Selbstverpflichtung führte und zur Forderung, entschieden für ein neues gemeinsames Verstehen von Europa einzutreten. Ihm tritt Donald Loose zur Seite, der angesichts der konkreten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten die Fragwürdigkeit des Europa derzeit bestimmenden Verstehens von Identität herausstellt. Bérénice Palaric belichtet entscheidende Phasen der darin maßgeblichen humanistischen Tradition im deutschen Bereich in zwei beispielhaften Haltungen. Unabhängig von ihren zeitbedingten Implikationen vermitteln sie Maximen, die auch für eine Weiterentwicklung des europäischen Wertegefüges bedeutsam sind. Dieser Selbstvergewisserung unter Rückgriff auf die prägenden Aspekte der Tradition muss, wie Johanna Hueck erläutert, als ebenso notwendig, ein Nachdenken darüber zur Seite treten, welcher Art ein Denken sein müsste, das sich in den ‚Horizonten des Suchens‘ fruchtbar bewegen kann. Es wird, um die mittlerweile in sich weitgehend abgeschlossenen Wissenssysteme in ein Gespräch mit einer offenen Gesellschaft zu führen, ein ‚nicht-spezialisiertes Denken‘ sein müssen. Dabei müssen freilich, so legt Fabian Warislohner dar, Aspekte des Moralischen wesentlich berücksichtigt werden – und zwar mit einer breit gelagerten zukunftsgerichteten Phantasie, um die Dynamiken der von uns angestoßenen Prozesse einbeziehen zu können. Diese – unter Rückgriff auf Günther Anders – vor allem im Hinblick auf die technische Seite behandelten Aufgaben ergänzt Martin Bunte mit seinen Gedanken zu einer notwendigen ethischen Selbstbesinnung im Natürlich-Lebensweltlichen. Im Anschluss an Kant müssen die Erfahrungen der unabdingbaren Einbettung des Menschen in die Natur verbunden werden mit dem menschenbezogenen Vernunftbegriff. Philipp Höfele umreißt die notwendig anzuerkennende Verschränktheit des menschlichen Tuns hinsichtlich des Technischen und Natürlichen im Einzelnen. Daraus folgt die Forderung an den Menschen, zurückzutreten, sich zurückzunehmen, das ihn Umgebende anzuerkennen und darauf zu ‚hören‘, was nichts anderes bedeutet, als ein In-Frage-Stellen der Ausrichtung aller Natur auf den Menschen. Demgegenüber – aber doch in entsprechendem Sinne – betrachtet Hans Friesen die aufgegebene Neubesinnung des Menschen im sozial-kulturellen Bereich. Gerade auch in der weltumspannenden Mediengesellschaft stellt sich die Aufgabe, das genuin ‚Menschliche‘, eigentlich Menschlich-Natürliche, neu zu durchdenken, soll nicht der Mensch selbst verloren gehen. Das meint, dass die technischen und medialen Instrumentarien der Vorstellung im Wechselspiel von Fiktion und Realität im Hinblick auf eine Wahrung des Menschlichen in seinen vielen, mitunter widersprüchlichen Regungen in den Blick genommen werden müssen, dies freilich im Sinne einer Einbettung des je besonderen Menschen in das ihn Umgebende des Lebens. Wolfgang Christian Schneider
Harald Schwaetzer und Kirstin Zeyer
Ulrich Weger
Anna Tumarkins Begründung der Psychologie
im Kontext ihrer Zeit
Harald Schwaetzer
Harald Walach
Lisa-Alexandra Henke und Herbert Kalthoff
Religionsinterpretation: Stellungnahmen der Klassiker, ihre
Schranken und möglichen interpretativen Erweiterungen
Dragan Jakovljević
Leben und Werk. Aus dem Italienischen übersetzt von
P. S. Castiglioni und A. Hilt. Hamburg 2023
Harald Schwaetzer
Psychologie und Ästhetik. Hg. v. Elisabeth Décultot / Alessandro
Nannini. Basel 2024
Harald Schwaetzer
Baldelli / Günther Bonheim. Historisch-kritische Gesamtausgabe.
I/17. Stuttgart – Bad Canstatt 2024
Harald Schwaetzer
bildenden Künste zu der Natur. Kleinere Schriften (1807-1814).
Hg. v. Vicky Müller-Lüneschloss. Akademie-Ausgabe I.16,2
Stuttgart – Bad Canstatt 2024
Harald Schwaetzer
Christoph Lewin und Reinhard Müller. München 2024
Wolfgang Christian Schneider
[1] Barth, Heinrich: Die Seele in der Philosophie Platons. Neu hg. v. H. Schwaetzer
u. K. Zeyer. Regensburg 2017.
[2] Tumarkin, Anna: Der Unsterblichkeitsgedanke in Platos Phädon. In: Rheini-
sches Museum für Philologie; N.F., LXXV (1926) 58-83.
Band 14/2 – 2023
In
teresse am rein Menschlichen
Johanna Hueck, Harald Schwaetzer, Kirstin Zeyer
Theologie und Philosophie des Selbst im X. Buch der Nomoi
Salvatore Lavecchia
Von der Antike bis zum frühen Mittelalter
Johann Kreuzer
in Cusanus’ De genesi und Tota pulchra es
Wolfgang Christian Schneider
Spekulative Untersuchung zu Cusanus: De visione dei
Tilman Borsche
Mitgeschöpflichkeit in De visione Dei
Kirstin Zeyer
und Schönheit. Zu Schillers Horen
Harald Schwaetzer
Zum Menschenbild Samuel Hahnemanns
Pilar Bücker
schrift von Deutschen für Deutsche“ (1813). Ueber die Gottheiten von
Samothrace (1815). Bericht über die Aeginetischen Bildwerke. Hg. v.
Christopher Arnold / Christian Danz. Akademie-Ausgabe I.19.
Stuttgart – Bad Canstatt 2023
Harald Schwaetzer, Stuttgart
Sokratische Methodik. Leonard Nelsons kritische Philosophie
heute. Podgorica 2021
Shafie Shokrani, Klagenfurt
Zu Franz Schuberts Winterreise. Regensburg 2023
Peter Dellbrügger, Basel
Von den Vorsokratikern bis zur Schule von Nisibis.
Hamburg 2023
Harald Schwaetzer, Stuttgart
Band 14/1 – 2023
Kos
mopolitismus
Wolfgang Christian Schneider
und sein Fortwirken bei Wieland
Wolfgang Christian Schneider
mit Rousseau und Wieland
Tilman Borsche
von Wieland und Kant
Ri SUGA
Harald Schwaetzer
des frühromantischen Kosmopolitismus
Yu TAKAHASHI
der „Weltliteratur“. Zu einer Denkfigur des literarischen
Kosmopolitismus im 19. Jahrhundert
Takahiro NISHIO
Grenzen und Möglichkeiten
Yotetsu TONAKI
Bezner / Beate Kellner. Unter Mitarbeit von M. Butz /
A. Urban. Paderborn 2022
Harald Schwaetzer
der Subjektivität im Denken F.W.J. Schellings. Beiträge
zur Schelling-Forschung (Band 13). Freiburg 2022
Nadja Görz
métaphysique de Charles de Bovelles (1504). Sous la direction
de Anne-Hélène Klinger-Dollé et Emmanuel Faye. Paris 2021
Harald Schwaetzer
Band 13/2 – 2022
Spuren im Dazwischen
Wolfgang Christian Schneider
Claus-Artur Scheier
Das Fortleben der griechischen Naturphilosophie bei
Hippokratikern und stoa-nahen Medizinern
Wolfgang Christian Schneider
Inigo Bocken
Kritische Betrachtung von Norbert Hoersters
neu vorgelegter Konzeption
Dagan Jakovljević
Martin Bunte„Die Natur allein ist das wahre Gegengift der Abstraktion“:
Schellings Naturphilosophie als Kritik an
wirklichkeitsfremder ‚Schwärmerei‘
Andrés Quero-Sánchez
Meister aus Brabant
Joop Berding
Die text-bild-künstlerischen „Bildmappen“ von
Christoph Meckel
Adela Sophia Sabban
Schurian / Johannes Stüttgen / Joachim Weber / Carla Zimmer-
mann (Hg.): Die Unsichtbare Skulptur. Der Erweiterte Kunstbegriff
nach Joseph Beuys. Katalog zur Ausstellung im UNESCO-Welterbe
Zollverein, Essen 2021. Köln 2021
Stephan Stockmar
Ästhetik. München 2021
Stephan Stockmar
(1507 / 1511 / 1514 / 1541), Clavis Philosophiae 11,1. Kritisch hg.
und übersetzt von Frank Böhling. Mit einer Einleitung versehen von
Frank Böhling und Wilhelm Schmidt-Biggemann. Stuttgart-Bad
Cannstatt 2022
Wolfgang Christian Schneider
errantis restitutiones (1619). Bearbeitet, übersetzt und kommentiert
von Frank Böhling. Mit einer Einleitung von Wilhelm Schmidt-
Biggemann. Johann Valentin Andreae: Gesammelte Schriften. Hg.
von Frank Böhling / Bernd Roling / Wilhelm Schmidt-Biggemann.
Band 12. Stuttgart-Bad Cannstatt 2022
Harald Schwaetzer
hältnisses der Naturphilosophie zur verbesserten Fichte’schen Lehre.
Ueber das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur. Kleinere
Schriften (1806-1807). Hg. v. Ives Radrizziani. Akademie-Ausgabe
I.16,1. Stuttgart – Bad Canstatt 2022
Harald Schwaetzer
Anschlüsse an Barth, Jaspers und Heidegger. Basel 2021
Johanna Hueck
der Medizin Anlass, die Wege von Luft und Pneuma im Inneren des Menschen zu verfolgen, der wesentlich dadurch am Weltganzen teilhat, womit, in stoischer Sicht, das Ganze im Einzelnen wirklich wird. Das Dazwischen im Spekulativ-Theologischen verfolgt I. Bocken, er sieht das mystische Nichtwissen als Schule des Denkens, wofür beispielhaft Cusanus und de Certeau aufgerufen werden. Im eigenen Nichtwissen und in der Unerreichbarkeit des Gegenübers tritt überbrückend die Wechselseitigkeit hervor. Das unerfüllte Verlangen nach dem Ungreifbar-Göttlichen stellt sich für den Betrachtenden als Wechselseitigkeit dar, in dem der ‚Sehnsüchtige‘ eine Art von Wissen erfährt, wofür er den Raum offen halten möchte. Einem geradezu klassischen Problem des Dazwischen widmet sich D. Jakovljević, der eine unlängst vorgetragene pantheistisch-atheistische Lösung der Theodizee-Frage als fragwürdig nachweist. Bei diesem Vorschlag bleibt das Problem bestehen, es wird lediglich verschoben. Gleichsam komplementär dazu erörtert M. Bunte den Spannungsraum zwischen dem Absoluten als dem unendlichen Grund und dem Menschen als endliches Vernunftwesen mit seiner Reflexion. Das einzelne Bewusstsein, das eigene Ich, wird in dieser Sicht als Erscheinung des Absoluten, also des rein aus sich Seienden vorgestellt. Die Wahrheit des Absoluten ist dabei die der Differenz und Identität seines In-sich-Seins und seiner Erscheinung als sein Aus-sich-Sein. Im Anschluss daran behandelt A. Quero-Sánchez das bei Schelling bestehende Spannungsverhältnis zwischen mystisch-spekulativen Traditionen und einer Naturphilosophie, die von beseelter Materie bestimmt ist, von woher auch Individualität und Existenz zu denken ist. Der reife und authentische Einzelne ist demgemäß (im Gegensatz zu dem wiederholt angesprochenen „Schwärmer“) dadurch gekennzeichnet, dass er nach dem Gesetz seiner Identität, kraft der Notwendigkeit seines Wesens handelt. Die Linie der Individualität zieht J. Berding bei seiner Vorstellung der auf die Praxis zielenden Philosophie Verhoevens aus, wenn er die „Selbstgestaltung“ des Einzelnen als deren Mittelpunkt beschreibt. Damit wendet er sich gegen die eingerasteten Selbstverständlichkeiten im Geistigen und Religiösen sowie die Nutzungsansprüche der Gesellschaft an die Heranwachsenden. Zuletzt verfolgt A. S. Sabban das Dazwischen als Ineinander von Sprechen im Text und Formen im Bildlichen in den bildtextlichen Gestaltungen des Dichters und Zeichners Christoph Meckel. In ihnen erspielt sich der kreativ Schaffende seine Wirklichkeit, sein Leben, vor und mit dem ihn Umgebenden – und vergegenwärtigt sich so dem Wahrnehmenden. Gerade das Dazwischen, offen und bewußt angenommen, ist fruchtbar, es erweist zunächst geschieden erscheinende Sinn- oder Erlebenszusammenhänge als gleicherweise tragend und so weiterführend, gibt zuletzt auch im Einzelnen Unerwartetes, Neues zu erkennen.
Band 13/1 – 2022
Bl
icke ins Kommende
Wolfgang Christian Schneider
und Kirstin Zeyer
Wolfgang Christian Schneider
Der Gebrauch von Begriffen in praktischer Absicht bei Kant
Nico Graack
Auf der Suche nach der großen Erzählung von Europa
Stefan Waanders
Identität als Faktizität und Aufgabe
Donald Loose
des Europäismus‘ von Ernst Troeltsch (1865-1923)?
Bérénice Palaric
Die Bedeutung des nicht-spezialisierten Denkens
Johanna Hueck
Günther Anders’ Moralische Phantasie im Anthropozän
Fabian Warislohner
Das Leben als Aufgabe und Grenze praktischer Vernunft
Martin Bunte
von Natur, Mensch und Technik im Anthropozän
Philipp Höfele
Mediengesellschaft. Die kulturellen Formate auf der
Grenze zwischen Sinnlichkeit und Abstraktion
Hans Friesen
Figur und Fiktion bei Friedrich Nietzsche. Bielefeld 2020
Osman Choque-Aliaga
Philosophische Zugänge zum Naturverständnis im
21. Jahrhundert. Freiburg 2020
Fabian Warislohner
„Winterreise“. Aus dem Japanischen übersetzt von Erika
Herzog. Regensburg 2019
Peter Dellbrügger