EDIKINT Eröffnungsveranstaltung: Wie Digitalisierung und KI unsere Arbeitswelt verändern. Das Beispiel Weinbau

Digitalisierung. Künstliche Intelligenz. Da fallen uns Roboter und Sprachassistenten ein. KI-gestützte Serviceprozesse. Menschenleere Fabriken, in denen autonome Fahrzeuge automatisierte Prozesse abarbeiten. Aber ausgerechnet Weinbau?

Na ja, in Bernkastel-Kues, an der Mosel – denken wir fast immer an Weinbau. Wir haben ihn vor der Nase, er prägt das Landschaftsbild und ist ein relevanter Wirtschaftsfaktor. Insofern lag es nahe, die EDIKINT Frage „Wie verändern Digitalisierung und Künstliche Intelligenz unsere Arbeitswelt?“ auch auf Weinbau und Weinhandel zu beziehen und zum Thema der Auftaktveranstaltung des Projektes zu machen.

EDIKINT Eröffnung im Steillagenzentrum des DLR Mosel in Bernkastel-Kues – Foto Merle Smyreck

Und seit Freitag, dem 3. Mai wissen wir: Wir lagen damit nicht nur lokalpatriotisch, sondern auch inhaltlich sehr richtig. Denn auch im Weinbau verändern digitale Techniken das Arbeiten ganz massiv.

Am Scheideweg. Heute müssen wir entscheiden, wie unser Leben durch Digitalisierung und KI verändert werden soll

Pünktlich zum Veranstaltungsbeginn begann es zu regnen. Doch das hatte offensichtlich niemanden abgeschreckt, zur Eröffnung des Projekts EDIKINT in das Steillagenzentrum des DLR Mosel in Bernkastel-Kues zu kommen. Der Veranstaltungsaal des eleganten Gebäudes war jedenfalls gut gefüllt. Die Besucher kamen aus dem Umfeld der Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte, vom DLR Mosel und natürlich aus Bernkastel-Kues und Umgebung selbst.

Unter den Gästen war auch Alexander Licht, Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtags und 1. Vorsitzender der Kueser Akademie, der ein Grußwort an die Anwesenden richtete. Von Krise sprach er im Zusammenhang mit den aktuellen Herausforderungen durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Krise jedoch nicht im pessimistischen Sinne eines Notstandes, sondern eines Wendepunktes – einer Zeit des Wandels, die angesichts neuer Möglichkeiten eine Neuorientierung unserer Gesellschaft verlangt.

Alexander Licht – Foto Merle Smyreck

Diesen Gedanken aufgreifend gab dann Dr. Matthias Vollet, Geschäftsführer der Kueser Akademie und Initiator von EDIKINT, einen Überblick über die vielfältigen Veranstaltungen und das Grundanliegen des Projekts.

Er erläutert dazu den kompliziert anmutenden vollständigen Projekttitel, der sich hinter der Abkürzung EDIKINT verbirgt: Arbeit der Entscheidung angesichts Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz. Was unsere Zeit angesichts Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz von uns fordert, ist ein gesellschaftliches Ringen um die Ziele und die Rahmenbedingungen, unter denen diese neuen Technologien die Arbeit sowie öffentliches und privates Leben umgestalten sollen. Die Formulierung „Arbeit der Entscheidung“ erhält dabei eine doppelte Bedeutung.

  1. Das Entscheiden über das Wie des Einsatzes von Digitalisierung und KI, das Sich-Entscheiden für oder gegen die Übertragung menschlicher Kompetenz an technische Systeme ist Arbeit. Es ist eine der aktuell dringlichsten Aufgaben im Prozess der bewussten schöpferischen Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt.
  2. Es geht um das Arbeiten an Entscheidungen. Denn das, worauf vor allem Künstliche Intelligenz in ihrer noch längst nicht voll ausgeloteten Mächtigkeit abzielt, ist die Übernahme von Entscheidungen. Das Wesen dieser Entscheidungen zu erkennen und des Wegs zu ihnen zu verstehen, ist Arbeit. Entscheidungen zu fällen wird dann für den Menschen ein ganz anderer Prozess, als es jetzt der Fall ist.

Dr. Matthias Vollet – Foto Merle Smyreck

Diesen Themen, so Matthias Vollet, gehen die Veranstaltungen des Projekts EDIKINT in ganz unterschiedlichen Formaten und Herangehensweisen nach: In Vorträgen, Lesungen, in künstlerisch kreativen Präsentationen, in Diskussionen und in Auseinandersetzungen mit populären Filmwerken – immer begleitet von Diskussionen der Teilnehmer und begleitet von der Reflexion durch den „Philosopher in Residence“ des Projektes.

Autonomie leben und Verantwortung wahrnehmen

Eben jener das Projekt begleitende Philosoph vertiefte im Folgenden knapp diese charakteristischen Fragestellungen von EDIKINT. Ausgangspunkt der Überlegungen von Dr. Frieder Schwitzgebel war der Begriff des Werkzeugs, als das man auch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verstehen kann. Doch eben solche Werkzeuge sind keine neutralen, gleichsam nur dienenden Hilfsmittel. Sie führen ein Eigenleben, das weit über ihr funktionales Wirken hinaus Wirkungen zeigt. Das Werkzeug ist nicht unschuldig. Das Werkzeug verändert das Werk, die Umwelt und vor allem den Menschen, der es bedient.

Dr. Frieder Schwitzgebel – Foto Merle Smyreck

Das gilt, so Frieder Schwitzgebel, beim Werkzeug Digitalisierung und ganz eklatant vor allem bei der Künstlichen Intelligenz. Wie verändern sich die Fähigkeiten von Menschen, die Entscheidungsfindungen zunehmend an technische Systeme übertragen? Wo lässt sich Verantwortung verorten, wenn künstliche Entscheidungs-Akteure zwar von Menschen programmiert sind, ihre Entscheidungsstrategien sich im Kontext autonom Lernender Systeme nicht mehr nachvollziehbar verändern?

Hier ist der Mensch aufgerufen, rechtzeitig die Arbeit der Entscheidung über die konkrete Implementierung technischer Systeme auf sich zu nehmen. Und er muss sich der Aufgabe stellen, die Verfahren künstlicher, digitaler Entscheidungssysteme so zu designen, dass sie für ihn transparent und steuerbar bleiben. Nur so kann er ansatzweise Herr seiner Werkzeuge blieben, kann Autonomie leben und Verantwortung wahrnehmen.

Mehr Zeit für guten Wein! – Technische Möglichkeiten sollten wohlüberlegten gesellschaftlichen und menschlichen Zielen dienen.

Nach diesen programmatisch philosophischen Hinführungen wurde es mit den Beiträgen von Michael Willkomm und den Vertretern des Steillagenzentrums einschlägig konkret.

Michael Willkomm – Foto Merle Smyreck

Michael Willkomm, bis vor kurzem verantwortlich für eine der ganz großen Weinerzeugungs- und Handelsbetriebe der Region, sprach aus eigener Erfahrung und sehr praxisnah über „Digitalisierung und KI in der Weinwirtschaft, Ausblicke & Tendenzen“. Er beschrieb vor allem, wie stark neben der Weinproduktion auch die Verwaltung und betriebswirtschaftliche Führung der Betriebe durch digitale Systeme geprägt wird. Die Spannbreite reicht von der Arbeitsvorbereitung und –steuerung im Weinberg über den Einsatz von ERP-Systemen bis zur Predictive Maintenance des Maschinenparks. Sein Augenmerk galt dabei immer auch der Veränderung der Arbeitsplätze. Überwiegend optimistisch beschrieb er hier vor allem die mit der allgegenwärtigen Technisierung einhergehende Aufwertung der Tätigkeiten in seiner Branche.

Hubert Friedrich – Foto Merle Smyreck

Anschließend stellte Hubert Friedrich, der Leiter des Dienstleistungszentrums ländlicher Raum (DLR) Mosel, die Aufgaben seines Institutes vor. In allen Aufgabenbereichen, von der Ausbildung über die Landentwicklung bis zur Beratung und dem Versuchswesen im Weinbau, wies er auf die zahlreichen Berührungspunkte mit den technischen Entwicklungen im Bereich Digitalisierung hin. Ganz im Sinne des EDIKINT Projekt-Anliegens stellte er dabei immer wieder die Frage nach dem Nutzen technische Maßnahmen für die Winzer und andere Stakeholder des Weinbaus.

Dabei fiel sein Urteil bezogen auf die Stellung der Winzer teilweise durchaus skeptisch aus. Zweifelsohne haben die zunächst mechanischen und heute immer stärker digitalen Techniken zu großen Produktivitätssteigerungen im Weinbau geführt. Doch wer profitiert von diesen Entwicklungen? Wie haben sich die Arbeits- und Verdienstverhältnisse der Weinbauern verändert? Hier forderte Hubert Friedrich eine ganz bewusste programmatische Positionierung ein. Wenn Technik den Weinbau erleichtert und verbessert, dann sollte das Ziel sein, dass die Weinerzeuger mehr Zeit zum Ausbau guter Weine haben. Wenn Technisierung stattdessen vornehmlich dem Effekt der Kostenreduzierung dient, ist nachhaltig niemanden geholfen: Weder den Erzeugern noch den Konsumenten. Gesellschaftlich wünschenswerter Fortschritt durch Digitalisierung verlangt bewusste Entscheidungen.

Endgültig hautnah in den digitalen Alltag des Weinbaus führten die abschließenden Präsentationen von Matthias Porten, der – unterstützt von eindrucksvollen Videoaufnahmen – über den Drohneneinsatz im Steillagenweinbau sprach. Nach ihm stellte Achim Rosch die Technisierung im Keller vor und präsentierte dazu Beispiele von der digitalen Unterstützung der Weinanalyse bis zur kontinuierlichen Qualitätsverbesserung in Form von datenbasierten Regelkreisen.

Ihre Präsentationen lassen diese höchst anschaulichen Beispiele zum Wandel der Arbeit im Weinbau durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz noch einmal nachvollziehen:

Matthias Porten – Foto Merle Smyreck

Achim Rosch – Foto Merle Smyreck

Analoger Ausklang: Eine wissenschaftlich fundierte Kellerführung

Nach drei Stunden intensiver inhaltlicher Arbeit nahmen die Gäste im Steillagenzentrum dann sehr gerne die Einladung in den praktischen Arbeitsbereich des Instituts an. Dort gab es die in den Präsentationen vorgestellten technischen Geräte als physische Anschauungsstücke: von der Drohne über die vollautomatischen Traubensortiermaschine bis hin zum Versuchskeller, in dem in hunderten Behältern Versuchsweine reifen.

Hier wurde das heimliche Motto dieser Veranstaltung noch einmal sinnlich fassbar: Digitalisierung im Dienste von Winzern und Konsumenten: Mehr Zeit für guten Wein!