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Band 10/2 – 2019

Natur und Geist

herausgegeben von Harald Schwaetzer und Wolfgang Ch. Schneider

Inhaltsverzeichnis

  • Vorwort
    Harald Schwaetzer / Wolfgang Christian Schneider
  • Von Lukrez und Plotin aus Naturphilosophie denken
    Wolfgang Christian Schneider
  • Natur, Geist, Existenz – Horizonte einer Naturphilosophie.
    In Anlehnung an Georg Picht
    Harald Schwaetzer
  • Ökologie und Handlungstheorien. Zwischen Ethologie
    und künstlerischer Kreativität
    Gianluca Cuozzo
  • Naturphilosophie in Japan. Eine Voraussetzung für eine neue
    Naturphilosophie – Problematik der Naturwissenschaften und
    der ‚Vernaturwissenschaftlichung‘ der Wissenschaften
    Kazuhiko Yamaki
  • Natur, Mensch und Gehirn. Plädoyer für eine kritische
    Wissenschaftsphilosophie der Neurowissenschaften
    Jan Cornelius Schmidt
  • Das Gesicht des Anderen. Cusanus auf dem Mars
    Gianluca Cuozzo
  • Semen Divinum. Natur und Vernunft nach Nikolaus von Kues
    Enrico Peroli
  • Pius II. Piccolomini und die Gestaltungsidee des Domes
    zu Pienza – Licht und Schatten als sinngebende Akteure
    Elena Filippi
  • Die Göttin Natura in der Cosmographia von Bernardus
    Silvestris. Ein Blick auf die Vorgeschichte der
    cusanischen Naturüberlegungen
    Hannes Bonte
  • Warum Goethe I. P. V. Troxler zitiert: Zum Geist-Begriff
    im morphologischen Kontext
    Yuho Hisayama

Buchbesprechungen

  • Schelling: Ideen zu einer Philosophie der Natur. Zweite Auflage
    (1803). Hg. v. Manfred Durner / Patrick Leistner. AA I.13.
    Stuttgart 2018
    Harald Schwaetzer
  • Schelling: Vorrede (Philosophische Schriften Bd. 1); Philosophische
    Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freyheit; Caro-
    lines Grabstein im Kloster Maulbronn. Hg. v. Christoph Binkel-
    mann / Thomas Buchheim / Thomas Frisch / Vicki Müller-Lüne-
    schloss. Akademie-Ausgabe I.18. Stuttgart 2018
    Harald Schwaetzer
  • Gunter Scholtz: Philosophie des Meeres. Hamburg 2016
    Kirstin Zeyer

Vorschau auf das kommende Heft

Zu den Autoren

Vorwort

NATUR UND GEIST

„Natur und Geist“ umschreibt mit beiden Begriffen ein dreifaches Anliegen des vorliegenden Bandes der „Coincidentia“. Beide ins Gespräch zu bringen meint, erstens Bedeutungsschichten des Naturverständnisses auszuloten, die geeignet sind, die Natur und unsere Begegnung mit ihr angesichts gegenwärtiger Herausforderungen adäquat und unverkürzt, mehrdimensional, in den Blick zu nehmen. Zweitens wird damit auf die historische Perspektive und die kulturelle Entwicklung und Bewusstseinsverschiebung hingewiesen; die „physis“ der Griechen ist keineswegs mit dem beschrieben, was wir heute unter „Natur“ verstehen. Drittens schließlich lenken die Beiträge das Auge auf die Wahrnehmung der konstitutiven Begegnung von Natur und Mensch.
Der erste Teil des Bandes ist dabei eher systematisch angelegt. Der zweite Teil diskutiert die Fragestellungen von Nikolaus von Kues und seiner Zeit her.
Die Beiträge entstammen drei unterschiedlichen Tagungen, verantwortet von Mitgliedern der Kueser Akademie. Hiroko Masumoto, gegenwärtig Vizepräsidentin der Universität Kobe (Japan), und Harald Schwaetzer haben im Juni 2016 in Bernkastel-Kues ein deutsch-japanisches Symposion „Natur, Geist, Schicksal“ organisiert. Gianluca Cuozzo, Präsident der italienischen Cusanus-Gesellschaft, und Harald Schwaetzer haben im Juli 2016 ebenfalls in Bernkastel-Kues eine deutsch-italienische Cusanus-Tagung veranstaltet unter dem Titel „Natur und Geist bei Nikolaus von Kues“. Eingeflossen in diesen Band sind darüber hinaus Beiträge von der Summerschool „Naturphilosophie nach dem Ende der Natur?“ vom Mai 2017, die Harald Schwaetzer gemeinsam mit Wolfgang Christian Schneider und Studierenden der Philosophie der Cusanus Hochschule, insbesondere Carmen Nik Nafs und Sophie Asam, veranstaltet hat.
Auf je verschiedene Weise führen alle diese Beiträge in dieselbe Richtung: Als zoon politikon, als Gemeinschaftswesen, muss sich der Mensch klar machen, dass die Gemeinschaftlichkeit nicht nur eine solche der Menschen ist, sondern auch eine Gemeinschaftlichkeit mit allen übrigen Mitwesen (zoa) und mit der Natur insgesamt meinen muss. Denn mit jeder Faser ist der Mensch in die Natur eingebunden, nur mit ihr kann er leben, sich entfalten, überleben. Selbst vordergründig für ihn unbedeutende Wesenheiten sind zu beachten, weil sie doch sein Leben auf die eine oder andere Weise mittragen, indem sie die vielen dem Menschen notwendige Wesenheiten der Natur ermöglichen, d.h. diese nähren, fördern oder Frucht werden lassen. Das Verwobensein der Lebewesen muss mit neuem Ernst bedacht werden, gerade auch des Menschen wegen. Und dieses Denken muss Handeln werden, ein Handeln, in das jeder Einzelne einzutreten hat, das jeder auf sich zu nehmen und zu verantworten hat. Eine solche Verantwortung muss auch leitend sein bei der Ausgestaltung der vom Menschen für seine Zwecke aufgebauten technischen Strukturen. Bei deren Nutzung hat sich der Mensch vor dem Ganzen der Gemeinschaftlichkeit zu rechtfertigen. Sie sind Mittel, nicht Zwecke, und sie sollten ihre Grenze darin haben, Mittel zu bleiben. Auf dem Weg, eine dementsprechende Sensibilität zu erwerben und zu formen kann der Blick in frühere Zeiten und fernere Kulturen konstruktiv wirksam werden, ebenso schöpferisch-künstlerische Vorstellungen und Gestaltungen. Sie vergegenwärtigen und öffnen einen Raum, in dem der Mensch seine Identität in Gemeinschaftlichkeit erproben, erlernen und ausgestalten kann.
Der vorgelegte, von Harald Schwaetzer verantwortete Band gehört zum Forschungsschwerpunkt der Naturphilosophie der Kueser Akademie und ihres Philosophischen Seminars. So wird in der Reihe „Texte und Studien zur Europäischen Geistesgeschichte“ bald ein weiterer Tagungsband in Zusammenarbeit mit der DFG-Kollegforschungsgruppe „Lyrik in Transition“, insbesondere mit Prof. Dr. Henrieke Stahl, zu Lyrik und Philosophie im Anthropozän folgen.
Für die Mitarbeit bei der Drucklegung des Bandes sei Sophie Asam, stud. Mitarbeiterin am Philosophischen Seminar der Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte, und PD Dr. Kirstin Zeyer herzlich gedankt.

Harald Schwaetzer / Wolfgang Christian Schneider

 

 


Band 10/1 – 2019

Wirklichkeiten sehen, gestalten

herausgegeben von Wolfgang Ch, Schneider und Kirstin Zeyer

Inhaltsverzeichnis

 

  • Vorwort
    Wolfgang Christian Schneider
  • Das Individuationsproblem nach Nikolaus von Kues –
    Die Zwiespältigkeit des Menschen als sammelndes und
    versammelndes Wesen
    Coban Menkveld
  • „Dass die Liebe durch den Zorn möchte durchbrechen“:
    Die Präsenz Jakob Böhmes in Novalis’
    ‚Die Christenheit oder Europa‘
    Andrés Quero-Sánchez
  • Foucault, Certeau und die Bausteine für eine
    Theorie der kritischen Spiritualität
    Herman Westerink
  • Transzendenz des Körpers, des Geistes, des Selbst?
    Existentielle Impulse Rut Björkmans 85
    Imre Koncsik
  • Liturgischer Kontrapunkt zur Welt. Klösterliche Lebensform
    zwischen Struktur und Antistruktur
    Thomas Quartier
  • Lessings Nathan und Habermas’ Gepäck – Versuch eines
    Vergleichs von Ablehnungshaltungen orthodoxer
    Religionsauffassungen
    Jan Dobelmann
  • Braucht Kunst die Alltagsübung?
    Mathias Obert
  • Demokratie und Gewissen
    Rachid Boutayeb
  • Ernst Kapp und Eberhard Zschimmer: Technikphilosophie
    im deutschen Kaiserreich
    Fabian Mauch
  • Michael Kleeberg und das Gartendenkmal. Gedanken
    zum Roman „Ein Garten im Norden“
    Uwe Zepf

Buchbesprechungen

  • Marie-Anne Vannier: Maître Eckhart. Prédicateur. Paris 2019
    Harald Schwaetzer
  • Kerstin Samstag / Friederike Samstag: Wahnsinn um drei
    Ecken. Eine Familiengeschichte. Köln 2018
    Kirstin Zeyer
  • Manfred E.A. Schmutzer: Die Wiedergeburt der Wissenschaften
    im Islam. Konsens und Widerspruch (idschma wa khilaf).
    o.O. [Bielefeld] 2015
    Wolfgang Christian Schneider

Vorschau auf das kommende Heft

Zu den Autoren

Vorwort

WIRKLICHKEITEN SEHEN, GESTALTEN

Der vorliegende Band der Coincidentia versammelt Beiträge, die alle auf die eine oder andere Weise das Thema des Sehens, Erfassens und Verstehens oder des Gestaltens von Wirklichkeiten behandeln – im Hinblick darauf, wie diese im Heutigen stehen und Bedeutung gewinnen. Am Anfang steht – unter Rückgriff auf Nikolaus von Kues entfaltet – das Individuationsproblem: Wie ist der Mensch im Heute als sammelndes und versammelndes Wesen zu verstehen? Für Coban
Menkveld geht es darum, den Menschen auf das ihn in der Tiefe Bedingende zu verweisen, als einen Konzentrierten, Sammelnden zu verstehen, ohne verkürzende Ausschlüsse und Grenzziehungen. Als einen Vorläufer in dieser Sicht deutet Andrés Quero-Sánchez Novalis’ von orthodoxen Christen seinerzeit befehdete Schrift: ‚Die Christenheit oder Europa‘ und bringt das mit einer Rezeption von Jakob Böhme in Verbindung, der über den Görlitzer Pastor Martin Moller Tauler’sches und Schwenckfeld’sches Gedankengut kennengelernt hatte. Entscheidend ist für Novalis die wunderbare, geheimnisvolle Wirkungskraft der Wahrheit und der Gerechtigkeit selbst, sie kann die Grundlage eines dauernden Friedens bieten. Vor dem Hinter-
grund solcher Vorstellungen sucht Herman Westerink den Begriff einer kritischen Spiritualität zu fassen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Gedankenwelt von Michel de Certeau, insbesondere das anhaltend fragend um sich blickende offene Schweifen. Imre Koncsik verfolgt das dann anhand einer einzelnen Person des 20. Jhs., die in ‚Ganzhingabe‘ im Alltäglichen ihre Existenz im Sinne einer Selbsttranszendenz zu vollziehen bemüht ist und damit zeigt, dass eine Spiritualität im Zeitgenössischen möglich ist. In ähnlichem Sinne sucht Thomas Quartier das klösterliche Leben unter dem Blickwinkel der ‚Liminalität‘ zu erläutern. In einer ebenso fruchtbar-labilen wie offenen Grenzhaftigkeit, auch im Liturgischen, eröffnet sie dem Handelnden eine spezifische Spiritualität. Gleichsam aus entgegengesetzter Blickrichtung sieht Jan Dobelmann auf das Religiös-Spirituelle. Unter Rückgriff auf Habermas und Lessings Nathan erörtert er, wie Ungläubig-Nichtspirituelle aber auch Eigenverantwortlich-Spirituelle im gesellschaftlichen Raum vor den Zumutungen aggressiver Orthodox-Gläubiger durch den Rückbezug auf die Vernunft zu bewahren sind. Obzwar nicht gleich erkennbar gehen die Überlegungen von Mathias Obert zur Kunst in eine gleiche Richtung. In der Einbettung in den Lebensvollzug erscheint sie als Alltagsübung als Weg zu einer immer neuen Offenheit im Weltverhältnis. Dies gilt nicht nur für die Kunst Ostasiens, sondern auch für die des ‚Westen‘. Dabei kommt dem praktischen Tun des Einzelnen wesentliche Bedeutung zu. Dies greift Rachid Boutayeb auf, wenn er das ‚Gewissen‘, und damit letztlich eine auch spirituelle Kategorie, als tragendes Moment des Gesellschaftlich-Politischen deutet. Um dem gerecht zu werden, hat einerseits das Gewissen unvoreingenommen Fremdes anzunehmen und dieses hin zu einem ausgeglichenen Miteinander zu führen, andererseits haben sich die Träger des Fremden von ‚abschließenden‘ Herrschaftsbindungen zu befreien und einer neuen gemeinorientierten Offenheit zuzuwenden. In eine andere Form der Wirklichkeiten führt Fabian Mauch mit seinen Untersuchungen zur Technikphilosophie. Früh wird die techné als entscheidender Aspekt des menschlichen Tuns betrachtet, auch bei Nikolaus von Kues, doch erst im 19.Jh. wird sie unter einem den Menschen formenden und bedingenden Blickwinkel gesehen. Damit beginnt eine neue Wirklichkeit, die die Eigenständigkeit des Menschen sowie die in sich begründete Natur, die im Verlauf der Frühen Neuzeit ein Eigengewicht gewonnen hatten, in Frage stellt. Das technikphilosophische Nachdenken des späten 19. Jhs. führt damit in die Aporien der Moderne, verbindet ein Natur und Mensch funktionalisierendes und ein die Möglichkeiten des Menschen produktiv erweiterndes Denken. Den Abschluß bildet eine Ausdeutung eines von Uwe Zepf, der einen Roman Michael Kleebergs ausdeutet und dabei das Verhältnis Mensch und Natur und die Gestaltungen der Natur, und zwar des Gartens, in seiner Entwicklung darstellt. Im kritisch getönten Wechselspiel von dichterischer Wirklichkeit und historischer Darstellung wird die eigenrechtliche Bedeutung der vom Menschen geformten Natur entfaltet.

Wolfgang Christian Schneider

 

 


Band 9/2 – 2018

Die Frage des Tieres

herausgegeben von Kirstin Zeyer und Wolfgang Ch, Schneider

Inhaltsverzeichnis

  • Vorwort
    Kirstin Zeyer
  • Von der Seele der Tiere. Untersuchung über den Ursprung
    der anthropologischen Differenz bei Aristoteles
    Lara Becker
  • Nikolaus von Kues als Tierethiker. Spekulative Metaphysik als
    Ausgangspunkt für die Begründung einer neuen Tierethik
    Coban Menkveld
  • Montaigne und die Tiere
    Matthias Vollet
  • Didaktische Poesie als Opposition zur Tierautomaten-Theorie
    Descartes’. Christliche Tierschutzethik im Praedium Rusticum
    des Jacques Vanière SJ (1664 – 1739)
    Matthias Laarmann
  • Vom heiligen Vogel zur säkularen Natur-Ikone. Zur Geistes-
    geschichte des Eisvogels von der Antike bis heute
    Hans Werner Ingensiep
  • Tierbilder und Tierethik in China
    David Bartosch
  • Titus Brandsmas Sicht auf den Tierschutz und die
    Gemeinschaft der Geschöpfe nach Laudato Si’
    Kirstin Zeyer
  • „Wer Tiere quält, der quält auch Menschen!“ Wider eine
    fälschlich verbreitete Auffassung, wonach es mit einer
    Kantianischen Begründung der Tierethik nichts werde
    Heike Baranzke
  • Wie Derrida tierethisches Potenzial verspielt
    Jannis Elfers
  • Kognition und Bewusstsein bei nichtmenschlichen Lebewesen.
    Aktuelle Forschungsergebnisse und ihre Auswirkungen
    auf die Tier- und Umweltethik
    Petra Wenzl
  • Mensch und Tier und Pflanze im Gesamt der Natur –
    Ein Einwurf
    Wolfgang Christian Schneider

Buchbesprechungen

  • Dieter Lamping: Karl Jaspers als philosophischer Schriftsteller.
    Schreiben in weltbürgerlicher Absicht. Stuttgart 2018
    Harald Schwaetzer
  • Jeung Keun Park: Johann Arndts Paradiesgärtlein. Eine
    Untersuchung zu Entstehung, Quellen, Rezeption und
    Wirkung. Göttingen 2018
    Harald Schwaetzer
  • Johann Jakob Bachofens Gesammelte Werke IX. Reiseberichte,
    Autobiographie, Varia. Hg. v. Andrea Bollinger / Andreas
    Cesana / Fritz Graf. Basel 2015
    Wolfgang Christian Schneider
  • Schelling in Würzburg. Hg. v. Christian Danz.
    Schellingiana 27. Stuttgart – Bad Canstatt 2017
    Harald Schwaetzer
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Niethammer-Rezensionen
    (1808/09). Denkmal der Schrift von göttlichen Dingen (1812).
    Hg. v. Christopher Arnold / Christian Danz / Michael Hackl.
    Historisch-kritische Ausgabe im Auftrage der Bayerischen
    Akademie der Wissenschaften. Reihe I: Werke. Band 18.
    Stuttgart – Bad Cannstatt 2018
    Harald Schwaetzer
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Frühe Alttestamentliche
    Arbeiten (1789-1793). Notamina ex praelec. d. Schnurreri in
    Psalm. Animadversiones in Jeremiam et Jesajiam. Jeremias.
    Psalmen. Hg. v. Christopher Arnold / Michael Hackl.
    Historisch-kritische Ausgabe im Auftrage der Bayerischen
    Akademie der Wissenschaften. Reihe II: Nachlass. Band 2.
    Stuttgart – Bad Canstatt 2019
    Harald Schwaetzer
  • Pietro Daniel Omodeo: Copernicus in the Cultural Debates
    of the Renaissance. Reception, Legacy, Transformation.
    Leiden / Boston 2014
    Kirstin Zeyer

Vorschau auf das kommende Heft

Zu den Autoren

Vorwort

DIE FRAGE DER TIERE

Die „Frage der Tiere“ erhebt sich erneut: nach dem Heft „Tier und Mensch“ (Bd. 6, 2015). Diesmal versammelt das Heft Beiträge zum Symposium des Titus Brandsma Instituts (Nijmegen) zur Frage der Gemeinschaft aller Geschöpfe, im Huize Wylerberg in Beek-Ubbergen (2016), sowie einzelne weitere Texte zum Thema. Den Auftakt der vorliegenden Beiträge bildet die aristotelische Schrift De anima, die erste Monografie über die Seele überhaupt und zugleich erste Begründung der anthropologischen Differenz. Lara Becker untersucht die darin aufgewiesene Seelenstruktur der Lebewesen und findet fließende oder unbestimmte Übergänge vor allem zwischen Tier und Mensch. Ob und wie die Unterscheidung zwischen animal und animal rationale nach den Einsichten Darwins überhaupt noch trägt, an diese Frage knüpft Coban Menkveld an. Er greift auf Nikolaus von Kues als Tierethiker zurück, der das seinskonstitutive Anblicken Gottes über das menschliche ‚Ich‘ hinaus auf alle Lebewesen ausdehnt. Dass der Mensch auf derselben Stufe wie das Tier der Schöpfung angehört, versucht Montaigne von einem skeptischen Ansatz aus gegen den Hochmut menschlicher Vernunft zu zeigen. Matthias Vollet hebt dabei die graduellen Unterschiede zwischen Mensch und Tier in den Essays hervor, wie z.B. die vernünftige Kommunikation unter den Lebewesen – zugespitzt in der Frage: spiele ich mit meiner Katze oder spielt sie mit mir? Das auch von Montaigne verwendete Stilmittel der Aufzählung steht im Praedium Rusticum (Lob des Landlebens) des französischen Jesuitenpädagogen Jacques Vanière zentral, auf dessen Descartes-kritische Stoßrichtung Matthias Laarmann eingeht. Die Annahme der Leidensfähigkeit der Tiere macht dabei verständlich, weshalb gerade Jugendlichen ein tierfreundliches Landleben nahe gebracht werden soll. Von den vielen Tieren zur Betrachtung des Einzelfalls schreitet Hans Werner Ingensiep fort, der anhand exemplarischer Stationen der Geistesgeschichte des Eisvogels die große Spannweite der Frage beleuchtet, wie ein einst heiliger Vogel zu einer modernen Natur-Ikone wird. Im Rückgang auf das Altchinesische, wonach Tiere sich selbst bewegende Wesen Die Frage der Tiere (dòngwù) sind, verdeutlicht David Bartosch Reflexionsmöglichkeiten in transkultureller Bedeutung. Von der mythischen Rolle des Tieres über das Spurenlesen, in dem der Geist im Übersetzen angeregt wird bis hin zum Tier als Familienmitglied und Opfergabe spürt der Beitrag den Tieren in China nach. Dass Tierschutz nicht zuletzt schon in der Schule eingeübt werden soll, ist die Auffassung des 1942 im KZ Dachau zu Tode gekommenen Widerständlers, Karmeliten und Professors für Mystik Titus Brandsma. Wie Kirstin Zeyer zeigt, lässt sich der erzieherische Aspekt hierbei mit den Impulsen der Gemeinschaft der Geschöpfe nach Laudato Si’ vergleichen. Wenn Kinder gegen Tiere grausam sind, sind sie es später dann nicht auch gegen Menschen? Heike Baranzke setzt auseinander, dass dieses ‚Verrohungsargument‘, das sich bei Kant und seiner Quelle William Hogarth findet, nicht mit einer fundamentalethischen Begründung verwechselt werden darf. Ethisches Potential verspielt dagegen Jacques Derrida, der sich in seiner Schrift L’animal que donc je suis (Das Tier, das ich also bin) von 1997 in der eigenen Begegnung mit seiner Katze verliert, statt, wie Jannis Elfers u.a. im Hinblick auf Lévinas’ Humanismus entwickelt, zu einer Besserung der Mensch-Tier-Verhältnisse beizutragen. Aktuell und umfassend angelegt ist die Untersuchung von Petra Wenzl, die sich auf Methoden der Feststellung von Kognition und Bewusstsein bei nichtmenschlichen Lebewesen konzentriert und die Auswirkungen der Forschungsergebnisse auf die Tier- und Umweltethik diskutiert. Vor allem auch pflanzliche Organismen erweisen sich dabei als wesentlich komplexer, als bisher angenommen. Den Gedanken der Verwobenheit aller Wesenheiten der Natur und ihrer Bewegungen bezieht schließlich Wolfgang Christian Schneider wieder auf den Menschen, der Teil des Selbstvollzuges der Natur ist. Als Teil der Natur hat auch der Mensch Teil am Prozess der Nahrungsaufnahme, zu dem Essen/Fressen und Töten gehört. Die Auseinandersetzung mit dem Töten und nicht zuletzt mit dem eigenen Tod schafft erst die Voraussetzung für einen reifen und verantwortlichen Umgang mit der Natur.

Kirstin Zeyer

 

 


Band 9/1 – 2018

Europa als Werteordnung?  

herausgegeben von Wolfgang Christian Schneider und Kirstin Zeyer

Inhaltsverzeichnis

  • EUROPA ALS WERTEORDNUNG? VERPFLICHTUNGEN AUS DEM ERBE DES NIKOLAUS VON KUES
    Wolfgang Christian Schneider
  • Nikolaus von Kues – Ein Mentor für Europa
    Harald Schwaetzer
  • Das künftige Europa – Bundesstaat oder Staatenbund
    Tilman Borsche
  • Die Ausformung von Gerechtigkeit in der Rechtsordnung
    Jürgen von Gerlach
  • „Die Dekonstruktion ist die Gerechtigkeit“ – Überlegungen
    zu Jacques Derridas Force de loi
    Claus-Artur Scheier
  • Aktualität und Grenzen der Kantischen Freiheitsphilosophie
    Marius Tölzer
  • Werte-Ordnung und Selbst.Bildung
    Harald Schwaetzer
  • Die Freiheit und das Böse als Prüfstein der Philosophie:
    Marian Zdziechowski und Vladimir Solov’ev
    Henrieke Stahl

Buchbesprechungen

  • Karl Leonhard Reinhold: Gesammelte Schriften.
    Kommentierte Ausgabe. Band 12: Vorlesungsnachschriften.
    Logik und Metaphysik. Darstellung der Kritik der reinen
    Vernunft. Hg. v. Faustino Fabbianelli / Erich H. Fuchts.
    Basel 2015
    Harald Schwaetzer
  • Erik Hornung / Andreas Schweizer (Hgg.): Heilige Landschaft.
    Eranos 2013 und 2014. Basel 2015
    Wolfgang Christian Schneider
  • Emanuele Coccia: Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie
    der Pflanzen. Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke.
    München 2. Aufl. 2018
    Kirstin Zeyer

Vorschau auf das kommende Heft

Zu den Autoren

Vorwort

EUROPA ALS WERTEORDNUNG? VERPFLICHTUNGEN AUS DEM ERBE DES NIKOLAUS VON KUES

Im Juni 2008 fanden erstmals die „Kueser Gespräche“ statt. Aus Anlass der 2. Kueser Gespräche im ehemaligen Zisterzienserinnen-Kloster Machern bei Bernkastel-Kues an der Mosel erschien 2010 das erste Heft der „Coincidentia“: „Interkulturalität, Interreligiosität und Toleranz“. Die 6. Kueser Gespräche des Jahres 2018 geben nun nach 10 Jahren Anlass, das in den früheren Gesprächen zur Diskussion Gestellte zu sichten und erneut zu überdenken. Im einführenden Beitrag erläutert Harald Schwaetzer die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Impulse, die von Cusanus ausgingen, in ihren einzelnen Aspekten. Obwohl der Philosoph von der Mosel die Wende zu einem neuen Selbstbild des Menschen und – damit zusammenhängend – zu einem neuen wissenschaftlichen Zugriff in der Renaissance wesentlich mitgetragen hat, ist er doch nicht bereit, der Naturforschung und der Technik die dominante Rolle in der Gesellschaft zuzugestehen. Dies geschieht, um die geistige Souveränität des Menschen zu wahren. Aus seinen Überlegungen ergeben sich daher für die zeitgenössische Situation Anstöße, die naturwissenschaftlichen und technischen Daten als in das menschliche Leben einbezogen, vernetzt und zugleich in Übergängen sowie in Spannungsverhältnissen zu denken. Damit ist auch die Frage nach der Rechtsordnung der Gemeinschaft gestellt. Tilman Borsche durchdenkt die zukünftige politische Ordnung in Europa unter Rückgriff auf Wilhelm von Humboldt. Gleichsam im Sinne des Cusanus, der hinsichtlich des Streits der Religionen das Prinzip una religio in rituum varietate entwickelt hatte, wird eine das jeweils Eigene positiv anerkennend einbeziehende Rechtsordnung verlangt, die gleichwohl auf einer verbindlichen – freilich entwicklungsoffenen – Rechtsgrundlage aufruht, aber auch Verzichtleistungen, insbesondere im Bereich der Rechtsautonomie und der Regelungsansprüche einschließt. Jürgen von Gerlach nimmt die rechtliche Ordnung im Inneren in den Blick, er schildert die Schwierigkeiten, Gerechtigkeit, die ja grundsätzlich die Rechtsordnung zu bestimmen hat, konkret im sozialen Leben umzusetzen. Um dies zu erreichen, sind zwar Grundsätze unumgänglich, doch sie müssen wegen der Vielfalt des Lebendigen, die durch feste Rechtsetzungen nicht zu fassen ist, im Hinblick auf Praktikabilität und Billigkeit ständig überprüft und auch – der Gerechtigkeit wegen – verändert, angepasst werden. Der Beitrag von Claus-Artur Scheier begründet dieses Spannungsverhältnis philosophisch unter Rekurs auf die von Derrida herausgearbeitete Verschränkung der sich – da sie nur so maßgebender Orientierungspunkt sein kann – notwendigerweise ständig entziehenden Gerechtigkeit und der mit der Begründung einer Rechtsordnung unauflöslich verbundenen, immer gegenwärtigen Gewalt. Marius Tölzer führt dieses Nachdenken über europäische Grundbegriffe fort mit Überlegungen zu Kants Analyse der Freiheit, als deren Kern die menschliche Würde erwiesen wird. Das gelingt dem Königsberger, zwar hinsichtlich der Individualethik und Sozialethik, scheitert aber im Konkreten, zumal in der Rechtslehre auf Grund von seiner einseitigen Rationalitätsauffassung, die etwa seelische Strebungen nicht einbegreifen will. Das führt auf die Wert-Orientierung auf der individuellen Ebene, die Harald Schwaetzer in seinem zweiten Beitrag unter Berufung auf Bildungsvollzüge bei Cusanus als Selbst-Bilden vorstellt. Besonders eindrücklich zeigt sich das in dem von Cusanus erfundenen ernst-heiteren Sinnspiel des ludus globi. Im Werfen der makelbehafteten Kugel, die nur kreisend ihren Weg zum Ziel finden kann, wird die existentielle Arbeit an sich selbst vor Augen geführt. Den Abschluss bildet eine Studie von Henrieke Stahl über die Freiheit und das Böse im Philosophieren des Polen Marian Zdziechowski und des von ihm ausgedeuteten Russen Vladimir Solov’ev. Dabei wird eine Umakzentuierung des Ausdeuters sichtbar, der aus der ganz rational gelagerten Weisheitslehre des Russen mit ihren vielfach gnostisch fundierten Gedanken eine nichtrationale soteriologisch und eschatologisch gelagerte religiöse Anthropologie entwickelt. So belichtet jeder Beitrag auf seine Weise die Notwendigkeit eines ständigen lebendigen Bemühens – gerade auch um Europa.

Wolfgang Christian Schneider